So., 30.06.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Brasilien: Landkonflikte durch Soja-Boom
Eigentlich sind sie die Herren dieses Landes – die Geraizeiros – viehtreibende Kleinbauern, wie Edinaldo Lopez, der hier geboren wurde. Seit Generationen siedelt Edinaldos Familie im Cerrado, einem einzigartigen Ökosystem im Herzen Brasiliens, Heimat von Jaguaren und dank riesiger unterirdischer Süßwasserspeicher Ursprung vieler Flüsse. Doch der Cerrado ist bedroht und damit auch die Lebensweise der Geraizeiros wie Edinaldo: "Wir können unsere Tiere nicht wie früher überall in der Gegend weiden lassen. Der Platz dafür wird immer kleiner."
Nur ein Stück weiter beginnen die Flächen, auf denen sich erst vor wenigen Jahren Großgrundbesitzer breit gemacht haben. Mit ihren Feldern dringen sie immer tiefer ein, in den Urwald des Cerrado, Felder für den Anbau von Mais, Baumwolle und vor allem: für Soja. Der Cerrado ist in den Fokus der Soja-Lobby geraten, die massenhaft Pestizide und Gentechnik einsetzt.
Konflikt mit den Soja-Agrariern
Das macht Osalina Rosalina Angst. Auch sie gehört zur traditionellen Gemeinschaft der Geraizeiros. Ihre Vorfahren waren Sklaven, die vor mehr als 200 Jahren hierher geflohen waren. Jetzt befürchtet sie, auch fliehen zu müssen, weil die Soja-Exporteure es auf ihre Heimat abgesehen haben. Was das bedeutet, zeigt uns Edinaldo: Der Viehzüchter kann seine Rinder schon lange nicht mehr frei bewegen, denn der benachbarte Soja-Unternehmer hat überall tiefe Gräben ausheben lassen – eine Schikane, sagt Edinaldo.
Er zeigt uns, gleich hinter seinem Haus, einen der neuen Wachposten der Soja-Farm Estrondo. Vor fünf Jahren habe Estrondo begonnen, diesen zuvor öffentlichen Weg abzusperren: "Hier ist jetzt Schluss. Wer weitergeht, wird beschossen. Mir ist das passiert, als ich meine Rinder einsammeln wollte."
Auf der anderen Seite des Grabens stellen sich Estrondos bewaffnete Wachen auf. Sie filmen. Der Entwicklungshelfer Martin Mayr hält die Wegsperren für illegal. Er unterstützt die Geraizeiros, juristisch dagegen vorzugehen: "Wenn jemand zwar keinen eingetragenen Landtitel im Grundbuch hat, aber nachweisen kann, dass er dieses Land friedlich nutzt, in diesem Fall ja seit Generationen, so hat er ein verbrieftes Nutzrecht, ein 'direito de posse'. Dieses Recht wurde bereits in zwei Instanzen bestätigt für die zirka 120 Familien, die seit Generationen in dieser Gegend wohnen."
Militärpolizei im Auftrag der Großgrundbesitzer
Plötzlich tauchen Bewaffnete vor Edinaldos Haus auf. Sie schreien: "Runter mit der Kamera!" Kurz darauf befiehlt man uns, die Dreharbeiten abzubrechen. Die Männer geben sich als Militärpolizisten aus, sind nicht zimperlich und offenbar überrascht, Journalisten zu sehen. Die Geraizeiro-Frauen haben Angst. Die Bewaffneten wollen hinein in Edinaldos Haus, obwohl sie keinen Durchsuchungsbefehl vorzeigen können.
Später finden wir heraus: Es waren tatsächlich Militärpolizisten, die ohne richterliche Anordnung Edinaldos Haus stürmen wollten.
Gerade trifft sich die Agrar-Lobby ganz in der Nähe: Soja-Exporteure, Händler von Gensamen und Pestizidproduzenten. Dass Soja-Farmen wie Estrondo Wege sperren und Militärpolizisten bei Kleinbauern einfallen, damit hat der hiesige Verbandspräsident kein Problem: "Wir haben ein Abkommen mit der Militärpolizei geschlossen, die unsere Fazendas beschützt. Aber es ist unmöglich, dass die Militärpolizei effizient all unsere Ländereien bewacht. Was tun wir also? Wir schützen uns auch auf eigene Rechnung."
Dabei ist unter vielen Experten umstritten, ob die Agrarexporteure ihr Land überhaupt rechtmäßig erworben haben. Ein Team der Umweltschutzorganisation Greenpeace überwacht aus der Luft, ob sich die Agrargebiete vergrößern. Seit Jahren registrieren sie im Cerrado immer wieder Abholzungen. Der Soja-Boom ist ungebrochen – vor allem in China, aber auch bei uns in Europa.
Aus dem Cerrado landen jährlich hunderttausende Tonnen Soja in deutschen Trögen. Womöglich auch von der Farm Estrondo, verschifft mit Hilfe internationaler Händler. Wieviel Soja genau mit Landkonflikten und Abholzung in Verbindung steht, kann kaum nachverfolgt werden.
Für eine Studie hat Greenpeace die größten deutschen Lebensmittelkonzerne befragt, woher sie ihr Soja beziehen. Die meisten machen keine Angaben. Sie wollen oder können nicht sagen, ob ihr Soja mit Abholzung oder Landkonflikten in Verbindung steht. Dabei haben sich viele deutsche Unternehmen ab 2020 auf eine saubere Zulieferkette verpflichtet.
Druck auf die Urwälder
Gleichzeitig scheint der Soja-Boom im Cerrado unaufhaltsam zu sein. Der Druck auf die letzten Urwälder steigt – zum Schrecken der Geraizeiros wie Osalina Rosalina: "Unsere Hoffnung ist, dass wir bleiben können. Ich bin doch hier geboren, hier aufgewachsen, nicht in der Stadt – hier."
Wie lange sie noch ihr Leben als Kleinbauern aufrechterhalten können, wissen sie nicht, die Geraizeiros, die einstigen Herren dieses Landes.
Autor: Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro
Stand: 01.07.2019 00:32 Uhr
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