Mo., 06.06.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Comeback der Seidenstraße
Die mystische Welt der Seidenstraße war lange Zeit fast vergessen. Nun ist die Legende plötzlich wieder da, als große Zukunftsvision Chinas. Xing Aixiang ist in Dunhuang aufgewachsen, die Oasenstadt gehörte viele Jahrhunderte zu den wichtigsten Zentren entlang der alten Handelsrouten. Der 65 Jahre alte war ein armer Bauer, die Tiere brauchte er für die Feldarbeit. Heute vermitteln sie im Wüstenpark Touristen das Karawanen-Feeling wie zu Zeiten des Abenteurers Marco Polo. "In den vergangenen 30 Jahren hat sich in meinem Dorf viel verändert. Wir arbeiten nicht mehr auf den Feldern, sondern wir leben vom Kamelgeschäft und unseren Gasthäusern", sagt Kamelbesitzer Xing Aixiang
Über 1.000 Jahre lang verkehrten Kamelkarawanen zwischen Europa und Asien. Heute dauert die Reise in die Vergangenheit eine Stunde. Chinas Mittelschicht entdeckt nicht nur die Welt, sondern auch die Schönheit des eigenen Landes. Und jetzt kommt auch noch politischer Rückenwind aus Peking.
Neue Super-Highways des Welthandels
Nebenan entsteht ein Expo-Zentrum für das, was Chinas Machthaber die neue Seidenstraße nennen. Es soll ein Ort werden, an dem die gemeinsame Entwicklung aller Staaten entlang der Route propagiert wird. Lauter sanfte Töne von Chinas ansonsten wenig zimperlichen Politikstrategen, sogar kultureller Austausch scheint ihnen plötzlich wichtig – wo doch alles Westliche ansonsten so verpönt ist.
China will mehr als nur sein romantisches Erbe wiederbeleben. Die alten Karawanenrouten sollen entwickelt werden zu neuen Super-Highways des Welthandels. China selbst hat die eigenen Abschnitte bereits ausgebaut – über mehrere 1.000 Kilometer. Parallel dazu rauschen Hochgeschwindigkeitszüge durch die Wüste. Güterzüge fahren schon bis nach nach Duisburg.
Rasante Veränderungen
Entlang der Routen verändert sich das Land rasant. Im Westen liegt Chinas größte Provinz, das politisch unruhige und wirtschaftlich rückständigere Xinjiang. Zhang Shifu beaufsichtigt hier eine Solaranlage. Neuerdings boomt der Ökostrom aus Wind und Sonne – aber nicht nur für den Eigenbedarf: "Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Xinjiang geht schnell voran. Und bis 2025 werden hier viele Hochspannungsleitungen stehen, über die Staaten im Westen Asiens versorgt werden können auch die Länder Indien und Pakistan", erklärt Zhang Shifu von der Firma Wujiaqu Photovoltaic.
Neue Märkte im Visier
China nimmt zielgerichtet neue Märkte ins Visier – wohl nicht nur aus purer Nächstenliebe: Die Wirtschaft lahmt, die Schulden sind gigantisch, und die Staatsunternehmen wissen nicht, wohin mit ihren Überkapazitäten. Doch jenseits der Grenze, in den vielen Ländern entlang der Seidenstraße, wird alles gebraucht: Solaranlagen, Züge, Straßen – und Chinas Unternehmen wollen an die Aufträge.
An der Grenze zu Kasachstan hat ein Mann schon Großes vor, hier liegt die Kleinstadt Horgos. Sie ist noch nicht erkennbar, aber bald eine Wirtschaftsmetropole wie Shenzhen oder Shanghai. Das glaubt zumindest Unternehmer Fu Yongqiang. Er kennt sich in der Region aus und macht gute Geschäfte - auch in den Nachbarländern. Seine Träume sind ganz nach dem Geschmack der Mächtigen in Peking. Er will einen über 300 Meter hohen Turm bauen, mit Einkaufszentrum als Symbol der neuen boomenden Seidenstraße. "Die wirtschaftlichen Entwicklungen aller Länder entlang der Seidenstraße hängen voneinander ab. Entlang der Routen hat jedes Land seine Stärken, die können wir kombinieren, und uns gemeinsam besser entwickeln", sagt der Unternehmer.
Eine große Einbahnstraße zum Wohle Chinas?
Ein leerer Lkw aus Kasachstan wird an der Grenze auf Schmuggelware hin abgeklopft. Bald wird er zurückkehren, voll mit Waren aus China. Auch wenn Peking stets betont, alle Staaten entlang der neuen Seidenstraße sollten von ihr profitieren, so befürchten im Ausland manche doch eine große Einbahnstraße zum Wohle der expansionshungrigen Supermacht.
China teilt sich in Horgos eine Freihandelszone mit Kasachstan. Im Nachbarland sind chinesische Unternehmen schon an der Ölförderung und Infrastrukturprojekten beteiligt. Beide Länder haben Milliarden-Deals abgeschlossen. Doch in der Bevölkerung wächst auch die Sorge vor einem Ausverkauf ans Riesenreich.
In Horgos bauen Chinesen, als wäre der Erfolg der neuen Seidenstraße garantiert, ungeachtet der Konflikte in der Region: Nicht nur im Nachbarland Pakistan oder in Afghanistan – in Xinjiang selbst gibt es große Spannungen zwischen Regierung und Uiguren, einer muslimischen Minderheit, die sich diskriminiert und von der Entwicklung abgekoppelt fühlt. Manager Fu sieht seine Geschäftsinteressen davon nicht bedroht, im Gegenteil. "Je instabiler die Wirtschaft ist, desto mehr Unterstützung ist notwendig für die wirtschaftliche Erholung des Landes. Und die sollte nicht nur aus der Region kommen, sondern international sein."
"Uns geht es schon sehr gut"
Zurück in der Oasenstadt Dunhuang. Hier können die Bewohner von der Seidenstraßenromantik schon jetzt gut leben. Kamelbesitzer Xing Aixiang gehört auch ein Hotel. Er genießt den Wohlstand, die große Politik kümmert ihn wenig, aber mit dem Ausbau der Seidenstraße dürfe es gerne so weitergehen, findet er: "Wenn die Hochsaison nach dem Sommer vorbei und nicht mehr viel zu tun ist, dann reisen viele aus unserem Dorf überall hin. Sie fahren ins Ausland oder gucken sich China an. Uns geht es schon gut, sehr gut."
Doch das Seidenstraßen-Projekt steht erst am Anfang eines langen Weges – und das wirkliche Ziel kennen nur die Karawanenführer in Peking.
Autor: Mario Schmidt, ARD-Studio Peking
Stand: 12.07.2019 00:14 Uhr
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