Mo., 10.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Krebs – keine Heilung ohne Geld
Zhang Wei und seine Mutter stehen stundenlang an – aber nicht für Konzertkarten, sondern für einen Termin bei einem Arzt. Jeden Tag sind es Tausende, die vom Land in die Hauptstadt Peking kommen. Denn den Krankenhäusern auf dem Land fehlen fast überall Geräte und Medikamente. Zhang Wei hat Knochenkrebs und kann auf seinen Krücken nicht lange stehen, deshalb hält in der Nacht seine Mutter für ihn die Stellung: "Ich bin mit ihm sofort hergefahren, als ich hörte, was er hatte, denn nur hier in Peking kann sein Krebs behandelt werden. Es war eigentlich Neujahrsfest aber wir standen hier", sagt Sun Shuzhen.
Drehen dürfen wir offiziell nicht im Krankenhaus, und so folgen wir Zhang Wei mit einer versteckten Kamera auf die überfüllten Flure, wo er er seine aktuellen Blutwerte erfahren wird. Er hat Angst vor einem Rückfall, denn eine zweite Runde Chemotherapie wird er sich nicht leisten können: "Wir mussten fast die ganze Behandlung selbst bezahlen, weil wir auf dem Land wohnen und die Krankenversicherung, die wir dort haben, für so gut wie nichts aufkommt. Und jetzt haben wir kein Geld mehr."
Finanzielle Hilfe per Crowdfunding
Ihr Problem ist das vieler Millionen Chinesen: Wer das Pech hat, auf dem Land zu leben und sich dort versichern muss, für den ist eine teure Krankheit wie Krebs meist direkt ein Todesurteil. Zhang Wei lässt so immer die Mutter zuerst auf die Werte schauen: "Das sieht gut aus heute, die Therapie scheint wirklich gewirkt zu haben. Für heute ist es gut", sagt sie.
Zhang Wei ist Busfahrer auf dem Land, seine Ersparnisse und die seiner Familie allein hätten niemals ausgereicht, um seine Therapie zu bezahlen. Dann aber stieß die Famile im Internet auf eine App, die per Crowdfunding versucht, Menschen wie ihn zu retten. Dazu musste er seine Geschichte, und Fotos von ihm selbst zur Verfügung stellen. Das deckte knapp die Hälfte der Kosten. "Das fühlte sich sehr seltsam an, zu Beginn, aber was sollen wir machen. Als normale Bürger haben wir in diesem Land keine andere Chance", erzählt Mutter Sun Shuzhen.
"Kleine Mädchen sind nicht viel wert"
Chemotherapie über Spenden-Apps. Dieser Markt zieht mittlerweile Millionen Kranke ins chinesische Internet – allein in Peking sitzen vier verschiedene Betreiber. Der, den Zhan Wei benutzt, ist der derzeit Größte. Hier arbeiten über 500 Mitarbeiter rund um die Uhr. Mehr als 2.000 Fälle bearbeiten sie im Moment. Die meiste Zeit verbringen sie damit, die Echtheit von Bewerbern wie Zhang Wei zu überprüfen. Jeder, der Kranken muss sich mit Ausweis fotografieren lassen, und all seine ärztlichen Dokumente ins Netz stellen. "Was mich dabei am meisten trifft, ist, wie willkürlich das ist. Vor allem kleine Mädchen sind nicht viel wert, die bekommen kaum Geld über unsere Seite. Und die Familien lassen ihre Töchter dann einfach zu Hause sterben", sagt der App-Betreiber.
Zhang Wei und seine Mutter kennen diese Fälle auch. In dem Mietshaus, wo sie wie Tausende ähnlicher Familien für einen Wucherpreis ein Zimmer mieten, um hier behandelt werden zu können, gibt es aber auch Eltern, die um ihre Mädchen kämpfen: Yongwei und seine Frau Xiaoyun sind seit drei Wochen in Peking. Ihre Tochter, die kleine Hou Fei hat Lymphknotenkrebs und ist gerade operiert worden, für die jetzt nötige Chemotherapie haben sie kein Geld mehr. Obwohl ihr Vater sie bei allen Spenden-Apps angemeldet hat, die es gibt. Für Hou Fei gibt kaum jemand Geld. “Ihre Operationswunden sind nicht wirklich gut verheilt, wenn sie sich jetzt infiziert, dann wird es noch teurer. Dann wissen wir auch nicht mehr weiter", sagt Mutter Ma Xiaoyun. Und Hou Fei bleibt es nicht erspart, neben ihren eigenen Ängsten auch die der Eltern miterleben zu müssen: "Ich hoffe einfach, schnell gesund zu werden, damit sie kein Geld mehr auftreiben müssen." Yongwei verdient 400 Euro im Monat in einer Gasfabrik. Wie er die schon jetzt entstandenen 30.000 Euro Schulden je zurückzahlen soll, weiß er nicht.
Ohne Bezahlung keine Behandlung
Chinas Krankenhäuser sind kapitalistische Unternehmen: Den Bluttest, den sie heute machen lassen, können sie anschreiben. Ansonsten aber muss Cash vorausbezahlt werden. Sonst wird nicht mehr behandelt: "Ja, so ist das. Wenn Du nicht mehr zahlen kannst, schicken Sie dich einfach nach Hause. So oft haben wir das mitansehen müssen. Wenn Du nichts Bar auf den Tisch legen kannst, stoppen sie die Behandlung und du kannst gehen", erzählt Ma Xiaoyun.
Sozialismus auf chinesisch. Yongweis letzter Ausweg jetzt: Das eigene Haus verkaufen. Er beschließt, dafür in sein Heimatdorf zu fahren, und ist einverstanden, dass wir ihn dorthin begleiten. Es ist eine lange Reise nach Shang Xi, eine der Provinzen, die unter einem ewigen Mantel aus Diesel-Dreck und Kohlenstaub liegen. Einen wirklich blauen Himmel haben sie alle hier schon lange nicht mehr gesehen. Es ist keine einfache Rückkehr: Yongwei beichtet dem Vater, dass er das Haus, das er ihm geschenkt hatte, jetzt verkaufen muss.
Das aber ist nicht mehr als ein Rohbau. Selbst wenn Yongwei hierfür jetzt einen Käufer findet, in diesem Zustand wird er nicht mehr als ein paar 1.000 Euro dafür bekommen. "Und hier sollten sie doch leben, aber seit das Kind krank ist, konnten wir es nicht zu Ende bauen", sagt Vater Hou Dianzhen.
Keine Hilfe für Alte und Schwache
Die Chancen, einen Käufer zu finden, sind gering. Seit die Kohle-Preise gefallen sind, ist das Dorf arm. Und viele hier sind krank und haben dasselbe Problem wie Yongwei. Die Mutter der Nachbarn direkt gegenüber hat einen Gehirntumor. Ihre Tochter pflegt sie zwar so gut sie kann. Aber von der Strahlentherapie, die die Mutter jetzt dringend bräuchte, haben sie sie beim Krankenhaus abgemeldet. "Wir haben es ihr nicht gesagt, das konnte ich nicht, und ich schäme mich so, dass ich nicht mehr Geld verdienen kann,damit sie behandelt wird." Ihr Bruder kann auch nicht helfen, denn er hat gerade seinen Job verloren: "Das ist alles unvorstellbar viel Geld für uns und es gibt hier wirklich kaum Arbeit."
YongMeis Vater hat derweil seinem Sohn angeboten, auch noch sein eigenes Haus zu verkaufen, um die kleine Hou Fei zu retten. Aber Yongwei hat abgelehnt. Den eigenen Vater obdachlos machen, das konnte und wollte er nicht. Und so gibt es kaum Hoffnung für seine Tochter und all die anderen hier auf dem Land, wenn sie krank werden. China mag offiziell ein sozialistischer Staat sein, die Alten und Schwachen aber werden erbarmungslos allein gelassen.
In eigener Sache:
Viele Zuschauer haben sich bei uns gemeldet, weil sie Hou Fei gerne helfen möchten. Alle Anfragen dazu können Sie an:weltspiegel@ndr.de richten.
Autorin: Annette Dittert, NDR
Stand: 12.07.2019 23:18 Uhr
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