Mo., 27.08.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Warum Vögelkäfige auf Spaziergang sind
Der sangesfreudige Augenbrauenhäherling ist der Stolz von Herrn Li. Jeden Morgen das gleiche Ritual im Wohnzimmer: saubermachen und frisches Futter für die Lieblinge. Dann ist kurz Ruhe – ohne den Gesang, den Li Xinli so gerne hört. "Ich ziehe Vögel auf, seit ich ein Teenager bin. In Peking ist es auch eine alte Kultur und es macht mir viel Freude."
Gemeinsam singt es sich besser
Der Vogel, der auch als chinesische Spottdrossel bezeichnet wird, hüpft alleine zurück in den Käfig. Der morgendliche Freiflug in der Wohnung ist beendet. Er ahnt vielleicht, was kommt. Herr Li macht sich auf den Weg. Zwei Käfige schwingen im Laufschritt mit – verhüllt, so ist der Weg für die Vögel weniger stressig. 30 Minuten Spaziergang durch die schmalen Gassen der Hutongs – Pekings alte Stadtviertel – bis zur Verbotenen Stadt. Als hier noch Kaiser herrschten, hielten Adelige und Eunuchen am Hofe schon Vögel zum Zeitvertreib. Und bald wurde das auch im Volk immer beliebter.
Herr Li besucht hier einen Park. Alle Vogelfreunde sind schon da, in den Bäumen hängen ihre Käfige und nun auch der von Herrn Li. So sehen die Vögel was von der Welt – und gemeinsam singt es sich besser. Gerade die chinesischen Spottdrosseln sind begabt darin, Töne aus ihrer Umgebung nachzuahmen. "Wir hängen unsere Vögel immer zusammen auf. Der eine Vogel kann singen wie eine Elster. Nach einer Weile konnte mein Vogel das auch. Sie lernen voneinander", erzählt Li Xinli.
Bewegung und Geselligkeit
Die Männer halten die Käfige aneinander, damit sich die Vögel beim Zwitschern überbieten. Herr Li ist seit einigen Jahren Rentner. Auch die Vogelbesitzer haben etwas vom Spaziergang mit den Vögeln: Bewegung und Geselligkeit. "Wenn Du Rentner bist, was sollst du machen?", fragt Herr Xu. "Zuhause rumsitzen schadet der Gesundheit. Aber mit den Vögeln spazieren zu gehen und Freunde zu treffen, macht gute Laune."
Gemeinsam ein paar Zigaretten qualmen und Fachsimpeln über Vogelfragen. Nach gut zwei Stunden hat die Morgenidylle dann ein Ende. Die Touristengruppen rollen an – für die Vögel wird es zu unruhig. Das Vogelkonzert ist vorbei, bald gibt es zu Hause Mittagessen. Und morgen früh sind sie alle wieder hier.
Autor: Mario Schmidt, ARD Studio Peking
Stand: 27.08.2019 13:53 Uhr
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