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Estland: Optimismus der Jugend

Estland: Optimismus der Jugend | Bild: NDR

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein und doch eint sie die Liebe zu ihrem Land. Der 15-jährige Timmo und der zehn Jahre ältere Ott. Der eine will Bauer werden, der andere arbeitet in einem Internet-Startup in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Beide wollen sie die Zukunft ihres Landes mitgestalten, wollen eine offene Gesellschaft.

"Sörve ist für mich Estland"

Ein Zipfel Estland ist Sörve, eine Halbinsel der großen Insel Saaremma. Hier auf Sörve ist eigentlich alles, was dem 15 Jahre alten Schüler Timmo, wichtig ist: seine Tiere, das Land, seine Heimat. Er wirkt schüchtern, weiß aber genau was er will: "Sörve ist für mich Estland. Ich mag das Leben hier. Und ich mag es mich mit meinen Tieren zu unterhalten."

Garten, ein paar Hühner und Kaninchen hatten seine Eltern schon immer - das ist Timmos Welt. Seine Mutter ist Köchin, sein Vater hat in einer Fabrik gearbeitet. Timmo aber weiß seit er fünf ist, dass er Bauer werden will. In der Schule erzählt er nicht rum, dass er jeden Tag zu seinen Tieren fährt - immer über den Feldweg – weil er mit 15 eigentlich noch gar nicht Traktor fahren darf. Das alte russische Modell hat er im letzten Jahr gekauft- Von dem Geld, dass er selbst verdient hat. Er kümmert sich um den Landstrich an der Küste und bekommt dafür 130 Euro im Monat aus dem Strukturfonds der EU.

Der Traum von der eigenen Herde

Timmo
Timmo sieht seine Zukunft in Estland. | Bild: NDR

Er hat gespart und Rinder gekauft – für 1.000 Euro von einem befreundeten Bauern. Eigentlich nur zwei, aber die Kuh war trächtig. Nun hat Timmo schon drei schottische Black Angus Rinder. Die leben das ganze Jahr im Freien, fressen das Schilf am Ufer und trinken das salzige Wasser. "Eine Herde von mindestens 60 Tieren - das ist mein Traum. 60 Rinder zu versorgen ist für einen allein gut zu machen. Und man kann sehr gut davon leben", sagt Timmo.

Die Eltern sind sehr stolz auf ihren jüngsten Sohn. Die älteren Geschwister leben und arbeiten in der Stadt. Seine Mutter erzählt, Timmos Seele tue weh, wenn er daran denke, was mit dem Land geschieht: "Ich erinnere mich gut, als du vor ein paar Jahren aus der Schule kamst. Du bist durch den Wald gegangen, wo sie gerade Bäume gefällt haben. Du hast mich gefragt was wird aus dem Land, wenn alle jungen Leute weggehen?", erinnert sich Silja Koppel, Timmos Mutter: Für Timmo ist sein Sörve in Estland der schönste Platz der Erde. Er will bleiben. Hier ist seine Zukunft.

Ein junger Enthusiast

Ott Ilves
Ott Ilves hat sein ganzes Leben im freien Estland verbracht. | Bild: NDR

Ortswechsel: In Estlands Hauptstadt Tallinn gibt es viele Internet-Startups. Ott Ilves hat hier einen Job gefunden – der erste Job nach dem Studium in England und Schweden. Er fühlt sich als Este, für den die ganze Welt der Spielplatz ist – wie sein Arbeitsplatz: "Es ist ein echtes Babel:  Hier sind viele Brasilianer, man hört portugiesisch, oder spanisch, Hauptarbeitssprache ist Englisch."

Für Ott ist Musik machen Freiheit. Er hat sein ganzes Leben im freien Estland verbracht. Seine Eltern haben ihm vom Unabhängigkeitskampf erzählt, sein Großvater von seiner Gefangenschaft im Gulag. Ott ist 25 – auf den Tag genauso alt wie das neue Estland. Der Unabhängigkeitstag am 20. August ist sein Geburtstag. Vor fünf Jahren hat Ott an diesem Feiertag vor 70.000 Menschen gesprochen – über sich und sein Land: "Vor ihnen steht ein junger Enthusiasmus – ich bin genauso enthusiastisch wie unser Land. Lasst uns mit damit etwas Großes bauen, damit wir in der Zukunft zurückblicken und sagen können: 'Das bin ich und das ist mein Estland'."

"Unsere Gesellschaft schottet sich immer mehr ab"

Fünf Jahre später sieht Ott sein Land nicht mehr ganz so enthusiastisch: "Unsere Gesellschaft schottet sich immer mehr ab – es wird davon geredet die Grenzen dicht zu machen, keine Fremden aufzunehmen. Unsere eigenen Leute auch nicht zu tolerieren, wenn sie anders sind."

Tallinner Szeneviertel Telliskivi
Treffpunkt der Jugend: das Tallinner Szeneviertel Telliskivi  | Bild: NDR

Im Tallinner Szeneviertel Telliskivi treffen sich die, die geblieben oder zurückgekommen sind – wie Ott. Kneipen, Bars, Galerien, es ist eine Mischung aus Avantgarde und Kommerz. Es gibt ein kleines Kino und Theater sowie Proberäume. Dort, in der Sowjetzeit im Geheimen Teile für die Raumfahrt gebaut wurden. Die Fabrik ist in der Nähe der berühmten Tallinner Altstadt  war damals Sperrbezirk. Ott ist gerne hier. Er liebt das Weltoffene an diesem Ort. Er kann sich aber auch gut vorstellen wieder weg zu gehen- zum Beispiel nach New York, wo sein Arbeitgeber auch sitzt. "Ich denke das eine schließt das andere nicht aus – nur weil wir entdeckungsfreudig sind, bedeutet das nicht, dass wir unsere Wurzeln nicht schätzen.

Autorin: Tanja Seibert, ARD-Studio Stockholm

Stand: 12.07.2019 20:39 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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