Mo., 07.12.15 | 05:00 Uhr
Das Erste
Ghana: Flucht vor dem Klima
Um sechs Uhr morgens hat Memuna Muniru ihren ersten Auftrag als Kayayo, als Lastenträgerin. Alleine kann sie das Gewicht gar nicht stemmen, eine Schüssel voller Yams-Wurzeln wiegt 30 bis 40 Kilo. Yams sind ein Grundnahrungsmittel in Ghana, die Laster kommen täglich aus dem Norden in der Hauptstadt an.
So wie auch die Menschen, die hier schuften. Memuna ist mit ihrer kleinen Tochter vor einem Jahr nach Accra gekommen. Der Mann und die zwei älteren Kinder sind im Dorf geblieben. "Mein Mann konnte uns mit den Erträgen vom Feld nicht mehr versorgen und ich habe zu Hause keine Arbeit gefunden, deshalb mache ich diesen Job", erzählt Memuna Muniru. "Ich arbeite hier so hart, weil unser Leben im Norden so schwierig ist."
Der Weg ist weit, es ist schon am frühen Morgen heiß wie in der Sauna. Endlich angekommen erhält Memuna drei Cedis, umgerechnet 75 Cent. Ihr Kopf und der Nacken schmerzen jetzt schon. Der Tag ist lang. Stunde um Stunde schleppt Memuna Yams. Am Stand eines Händlers darf sie sich immer mal wieder ausruhen. Dafür muss sie dort am Abend alles sauber fegen.
Nicht nach Europa, sondern nach Mekka
Memuna wohnt, wie die meisten, die auf dem Markt arbeiten, im Slum gleich nebenan. Die Hälfte ihres Verdienstes geht ab für Essen, Wasser, Miete und Arztbesuche. Ständig hat sie Schmerzen von der Arbeit und die kleine Zuleiha ist oft krank. Sparen kann Memuna kaum etwas, das hatte sie anders geplant. Ist ihr schon mal in den Sinn gekommen, all das hinter sich zu lassen? Nach Europa zu flüchten? Memuna Muniru: "Nach Europa zu gehen kommt für mich nicht in Frage, aber einmal im Leben möchte ich gerne nach Mekka."
Nach sechs Monaten nur kurz nach Hause
Doch am allerliebsten möchte Memuna wieder nach Hause. Ihre Familie lebt eine Tagesreise von der Hauptstadt entfernt im Norden Ghanas. Erst nach einem halben Jahr kommt Memuna wieder zu Besuch. Nur ihr Sohn ist da, als sie abends ankommt: "Den Hof so zu sehen, macht mich traurig", sagt die Frau. "Wenn ich hier wäre, würde jetzt schon ein Feuer brennen, ich hätte sauber gemacht und am Rauch über der Feuerstelle würden die Leute sehen, dass hier eine Frau im Haus ist." Eine überschwängliche Begrüßung nach unseren Vorstellungen sieht anders aus, die Kinder knien zum Zeichen des Respekts vor der Mutter nieder.
Die Yams, die Memunas Mann erntet, sind nicht einmal halb so groß wie die, die seine Frau für andere Leute schleppt. Und bei Sojabohnen, Mais und Erdnüssen sieht es noch schlimmer aus. Das Grün trügt: Es ist Unkraut. Alle anderen Pflanzen sind in diesem Jahr vertrocknet, weil der Regen zu spät kam. Seit etwa zehn Jahren geht das so. "Als ich ein Kind war, konnten wir uns auf die Regenzeiten verlassen und der Boden war fruchtbar. Die Ernten waren immer gut", berichtet Baba Muniru, Memunas Mann. "Aber jetzt muss ich so viel Geld in die Farm stecken und düngen. Aber selbst dann: auf den Regen ist kein Verlass."
"Unsere Lebensumstände entwickeln sich rückwärts"
In Tamalé, der größten Stadt im Norden Ghanas, können junge Frauen Nähen lernen. Wegen des Klimawandels bieten Hilfsorganisationen ihnen eine neue Perspektive. Eine Projektleiterin erkundigt sich nach den Fortschritten. Alle haben früher als Trägerinnen geschuftet wie Memuna. Jetzt hoffen sie auf eine neue Zukunft als Schneiderinnen. "Manchmal bin ich wütend. So viele Menschen gehen von hier weg", sagt Projektleiterin NORSAAC Nadia Ali Dawud, "unsere Lebensumstände entwickeln sich rückwärts, unsere Umwelt hat sich massiv verändert. Wir haben nicht genug Essen und können uns kaum ernähren."
Auch Memuna kommt mit ihrer Tante und ihren Kindern nach Tamalé und sucht einen Ausweg aus ihrer verzweifelten Lage. Im Radio hatte sie von Nadias Organisation gehört. Doch Nadia hat Bedenken: jeden Tag aus dem Dorf eine Stunde nach Tamalé zu fahren, um den Nähkurs zu besuchen, das könnte schwierig werden. Aber sie will sich etwas anderes überlegen.
Zurück im Dorf ist der Klimawandel das alles beherrschende Thema. Jeder hier leidet darunter. Bald muss auch Memuna deshalb zurück in den Süden nach Accra. Geld verdienen als Lastenträgerin."Wenn ich daran denke, wie schwer ich dort arbeite und was am Ende übrig bleibt, dann lohnt es sich eigentlich nicht", sagt Memuna, "ich leide mehr als ich verdiene." Am liebsten würde Memuna einfach hier bleiben. Zu Hause bei ihrer Familie. Wenn es nur nicht so hoffnungslos wäre.
Autorin: Sabine Bohland
Stand: 10.07.2019 06:29 Uhr
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