So., 07.06.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Verschwörungsmythos – 5G-Netz schuld am Coronavirus?
Auch in Großbritannien hat es in den vergangenen Wochen Widerstand gegen die Corona-Beschränkungen gegeben. Neben Demonstrationen wurden eine Reihe von Sendemasten des neuen 5G-Netzes zerstört. Viele Verschwörungsgläubige in Großbritannien machen den neuen Mobilnetz-Standard für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich, auch wenn es keinerlei Belege für diese These gibt. Die britische Regierung hat die 5G-Hasser und ihre spektakulären Angriffe auf die Sendemasten als politisches Thema ausgemacht, mit dem sich die Behörden ernsthaft auseinandersetzen wollen.
Protest von Verschwörungstheoretiker Piers Corbyn
Ein Protest im Londoner Hyde Park: Die Teilmehmer demonstrieren gegen den Lockdown und sie warnen vor einem Corona-Impfstoff. Der Mann mit dem Megafon ist der Organisator. Er ist eine schillernde Persönlichkeit unter Verschwörungstheoretikern und der Bruder des langjährigen Chefs der Labour Party Jeremy Corbyn. Der Protest endet mit seiner Verhaftung.
Eine Woche später ist Piers Corbyn wieder da. Er hat die nächste Kundgebung organisiert. Um vor dem Impfstoff zu warnen, aber auch vor dem neuen Mobilfunknetz 5G. "Den Impfstoff, den sollen alle bekommen, dient der Kontrolle. Da wird gleichzeitig ein Mikrochip mit in den Körper injiziert. Und über 5G werden dann die Leute mit Hilfe des Mikrochips überwacht", sagt Astrophysiker Corbyn.
Die Polizei erwartet ihn schon. Versammlungen sind gerade verboten. Jeder der kommt, wird weggeschickt. Corbyn aber geht es auch darum, sich immer wieder zu zeigen. Und sich nicht zu beugen: "Impfstoff und 5G hängen miteinander zusammen. Wir werden uns gegen den Impfstoff und die Einführung von 5G stemmen. Das muss gestoppt werden." Dass die Polizei ihn wieder nach Hause geleitet, ist kein Rückschlag. Denn die Thesen haben sich längst weit verbreitet.
Zerstörung von 5G-Mobilfunkmasten
Und einige Anhänger beschwören nicht nur Worte: Im Internet finden sich verstörende Videos, die zur Zerstörung von 5G-Mobilfunkmasten anstiften, manche sind hundertausendfach aufgerufen. Seitdem brennt es ständig. In den vergangenen Wochen wurden in Großbritannien nach Angaben der Betreiber gut 80 Masten angezündet und zerstört.
Auch im englischen Solihull brannte ein Mas. Der Geruch verschmorter Kabel soll noch tagelang in der Luft gewesen sein. Nun wird die Technik komplett erneuert. Stadtrat Chris Williams hat das Gefühl, dass da gerade etwas aus dem Ruder läuft: „Während sie hier den Mast repariert haben, hat ein Auto angehalten und die Arbeiter beschimpft und geschrien, dass sie den Mast wieder abrennen werden. Man denkt ja, das ist ein schlechter Scherz, aber die Arbeiter haben gesagt, dass das heute schon ein paar Mal passiert ist. Und dann ist da bestimmt einer darunter, der es ernst meint.“
Soziale Medien: 5G verbreitet Coronavirus
5G-Masten sind das symbolische Feindbild in Verschwörerkreisen. Auch wenn dieser gar keiner ist. Einige glauben, dass sie das Coronavirus mitverbreiten. Krude Thesen wie diese kennt Chris Williams schon länger, nicht aber, dass die mittlerweile auch zu Anschlägen verleiten: "Es haben zur selben Zeit eine Vielzahl an Masten gebrannt. Es passiert ja nun nicht jeden Tag, dass Masten brennen. Und nun gleich mehrere. Nicht nur hier in der Region, überall in England. Und das, nachdem in den sozialen Medien Verschwörungstheorien über 5G verbreitet wurden.“
In den sozialen Medien wächst die Gemeinde derjenigen, die glauben 5G könne auch das Coronavirus verbreiten. Ein einschüchterndes Video hat sich millionenfach verbreitet: Eine Frau beschimpft Telefontechniker auf der Straße: "Baut Ihr 5G" fragt sie. "Wisst Ihr, dass Ihr Menschen tötet? Alle werden sterben."
Dylan Farrell hat das auch erlebt. Er stand mit seinem Telefontechniker-Wagen an der roten Ampel. Neben ihm schreit ein Fahrer Hass-Tiraden in seine Richtung. 5G tötet. Er solle sich schämen. Dann springt er sogar aus seinem Wagen. "Ich habe auf der Fahrerseite gesessen. Und es hat mich erschrocken, dass er rüberkam und versucht hat mit aller Gewalt reinzukommen. Und gegen die Scheibe schlägt. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich nicht alles verschlossen hätte. Er wollte unbedingt rein. Ich bin mir sicher, der wäre handgreiflich geworden", erinnert sich der Telefontechniker.
Gesetz gegen Falschinformationen und Verschwörungen geplant
Über 200 Vorfälle dieser Art hat es in den letzten Wochen in Großbritannien gegeben. Dylan und seine Kollegen dürfen im Moment nur noch zu zweit arbeiten – zur eigenen Sicherheit. Die britische Regierung arbeitet nun an einem Gesetz, um Falschinformationen und Verschwörungen einzudämmen. Der Abgeordnete Julian Knight kommt aus Solihull, dort wo der Mast brannte. Er hat vor wenigen Tagen nochmal die Debatte eröffnet: "Was ich mir wünsche, ist, dass wir künftig sozialen Medien bestrafen, wenn sie wissentlich oder aus Nachlässigkeit Desinformation oder Hassreden verbreiten. Wir haben auch gefordert, dass Social-Media-Unternehmen in schweren Fällen von Fahrlässigkeit strafrechtliche Sanktionen drohen. Damit sie nicht einfach vor uns davonlaufen können."
Der Tory Damian Collins würde aber auch gerne vermeintliche Verschwörer bestrafen können. „Es gibt Leute, die kampagnenartig schlichtweg falsche Thesen verbreiten. Diese Leute müssen meiner Ansicht nach als Straftäter betrachtet werden. Weil sie damit dem Allgemeinwohl echten Schaden zufügen.“
Gemeint sein könnten Leute wie Piers Corbyn. Einer der Aktivsten, die öffentlich einen unbewiesenen Zusammenhang von Pandemie und 5G beschwören. Er will nun Kundgebung in ganz Großbritannien organisieren.
Autor: Sven Lohmann, ARD-Studio London
Stand: 08.06.2020 13:15 Uhr
Kommentare