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Israel: Der Weg zur Genesung

Israel: Der Weg zur Genesung | Bild: ARD

Letzte Vorbereitungen von israelischen Freiwilligen bevor ihre Gäste eintreffen, am Strand in der Nähe der Stadt Ceasaria. Sie sind nervös aber auch voller Vorfreude, denn ihre Besucher kommen aus dem Westjordanland. Genauso aufgeregt und glücklich sind die Palästinenser. Israel hat ihnen eine besondere Einreisegenehmigung erteilt – auf Einladung des israelischen Vereins "Baderech Lehachlama" ("Der Weg zur Genesung"). "Wir wollen, dass sie Spaß haben, dass sie glücklich sind. Als Israeli fühle ich mich schlecht, weil wir ihre Besatzer sind. Ich engagiere mich, um mein schlechtes Gewissen etwas zu entlasten", erklärt Shuli Dichter, Mitbegründer von "Baderech Lehachlama".

Zakaria
Zakaria aus Hebron hat Leukämie. | Bild: NDR

Für die meisten Palästinenser ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie ans Meer kommen, weil Israel das besetzte Westjordanland aus Angst vor Terror abgeriegelt hat. Ein unbeschwerter Urlaubstag. Und doch steckt so viel mehr dahinter. Denn jede Familie hier hat mindestens einen sehr kranken Angehörigen: Der sechsährige Zakaria hat Leukämie. Seine Familie stammt aus Hebron. "Bei uns in Hebron konnte man die Krankheit nicht richtig behandeln. Zakaria brauchte eine Knochenmarkttransplantation, dafür gibt es bei uns keine Geräte und keine Fachleute. Die einzige Chance auf Heilung hat er nur in Israel, in Tel Aviv", erklärt Vater Kajed Mohamed. Und hier kommt Raffi Zelig ins Spiel. Der Tel Aviver Rentner versucht Zakeria zu überzeugen, sich mit dem unbekannten Element, dem Meerwasser, anzufreunden. Und mit ihm selbst, Raffi. Denn auch dies ist Ziel dieses Strandtages: Israelis und Palästinenser sollen sich besser kennenlernen. Damit der Verein seine dringlichste Aufgabe erfüllen kann: Zugang zu medizinischer Hilfe zu ermöglichen. In diesem Fall: Zakeria ins Krankenhaus nach Tel Aviv zu fahren.

"Das Leiden der anderen zu erkennen, ist der Anfang von Frieden"

Shuli Dichter
Shuli Dichter ist Mitbegründer von "Baderech Lehachlama". | Bild: NDR

Wenige Tage später, 4 Uhr morgens, in Hebron. Die Mutter bereitet den Kleinen auf den weiten Weg vor. In Tel Aviv macht sich wenig später auch Raffi fertig. Er ist Musiker im Ruhestand. Seine freie Zeit will er sinnvoll nutzen, um zur Versöhnung in seinem Land beizutragen. Deshalb ist er dem Verein als einer von mittlerweile 1.400 Freiwilligen beigetreten. "Das ist mein persönlicher Weg, um zu helfen. Ich gehe nicht auf politische Demos. Aber die Mitarbeit im Verein ist eine kleine Sache, mit der ich mich einbringen kann. Und das tue ich eben", erklärt Raffi.

Der Großvater von Raffis Frau Varda, gilt offiziell als das erste israelische Opfer im Konflikt mit den Palästinensern. Er kam 1888 bei einem palästinensischen Terroranschlag ums Leben, später verlor sie auch den Bruder. "Die Palästinenser leiden in diesem ewigen Konflikt doch auch. Nicht nur wir. Leiden ist menschlich. Und mir ist sehr wichtig, dass wir das so akzeptieren. Das Leiden der anderen zu erkennen, ist der Anfang von Frieden", sagt Varda Zelig.

Das Thema Politik ist tabu

Raffi Zelig
Raffi Zelig will zur Versöhnung in seinem Land beitragen.  | Bild: NDR

Und dann fahren sie sich entgegen. Zakaria mit seinem Vater von Hebron durchs palästinensische Westjordanland, Richtung Tel Aviv. Raffi von Tel Aviv Richtung Hebron. Ihr Treffpunkt: der israelische Checkpoint Tarkumia. Inmitten Tausender palästinensischer Arbeiter, die eine der begehrten Arbeitsgenehmigungen in Israel ergattert haben, wartet Raffi auf seine Fahrgäste. Es ist nicht so einfach, sich hier im morgendlichen Getümmel zu finden. Dann entdeckt er die beiden. Den Checkpoint müssen sie zu Fuß überqueren. Ohne Raffis Fahrdienst wäre für den Vater mit seinem schwerkranken Sohn von hier aus kein Weiterkommen möglich. Ein teures Taxi ins ferne Tel Aviv könnten sie sich niemals leisten. Zehntausende Palästinenser werden wie Zakaria jedes Jahr in Israel behandelt. Für den israelischen Verein heißt das: 30 bis 60 Krankenfahrten jeden Tag.

Die Männer plaudern halb auf Hebräisch, halb auf Arabisch über Familien, Kinder, Alltagssorgen.  Nach rund einer Stunde Fahrt, vor dem Sheeba Krankenhaus in Tel Aviv, trennen sich ihre Wege. Ein anderer Freiwilliger des Vereins wird später die Rückfahrt übernehmen. "Wir vermeiden es bei solchen Fahrt über Politik zu sprechen. Denn ich will nichts Schlechtes über die Israelis sagen. Ich will ihn doch nicht wütend machen und ihm das Gefühl geben, dass wir Palästinenser ein unverschämtes Volk sind, und nicht schätzen, was dieser Verein für uns tut. Aber auf der anderen Seite will ich mich auch nicht gezwungen fühlen, als eine Art Preis für diese Fahrt, die israelische Politik loben zu müssen. Deshalb ist das Thema Politik tabu. Und wenn Zakaria geheilt und erwachsen ist, dann wünsche ich mir, dass er – wie die ganze nächste Generation - es einmal besser macht, als wir. Araber und Juden. Dass die Jungen die Fehler korrigieren, die wir gemacht haben", sagt Kajed Mohamed.

Barrieren überwinden

Aber immerhin haben sie sich kennengelernt und über Alltagssorgen ausgetauscht. Das ist schon viel, beim heutigen Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern. Und das Wichtigste: Zakaria hat dank der Behandlung in Israel laut Auskunft der Ärzte gute Chancen wieder ganz gesund zu werden.

Soha Mohamed
Mutter Soha Mohamed ist dankbar für die Hilfe. | Bild: NDR

"Bevor Zakaria krank wurde, habe ich die Israelis immer nur als meine Feinde betrachtet. Aber seitdem ich mit ihm nach Israel kam und sehe, wie sie ihn medizinisch betreuen und mit ihm umgehen – ist das anders. Israel oder Palästina – ist mir jetzt unwichtig, ich denke nur noch an meinen Sohn Zakaria", sagt Mutter Soha Mohamed. Der Weg zu seiner Genesung hat sie Barrieren überwinden lassen, reale Grenzen wie Checkpoints, aber auch die ganz persönlichen.

Autorin: Susanne Glass, ARD StudioTel Aviv

Stand: 27.08.2019 13:53 Uhr

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