Mo., 21.11.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Japan – Warum telefonieren Japaner in einer Telefonzelle ohne Anschluss?
Itaru Sasaki hat eine Telefonzelle in seinem Garten stehen. Das Telefon des Windes, wie er es nennt. Bei dem verheerenden Tsunami im März 2011 sind in seinem Ort Otsuchi fast 1.200 Menschen gestorben – im Schnitt jeder Achte. "Um zu leben, brauchen die Menschen Träume und Hoffnung. Dieses Telefon entstand aus der Idee heraus, Verbindung mit den Verstorbenen aufzunehmen", sagt Sasaki.
Laut Bedienungsanleitung funktioniert die Drahtlos-Verbindung folgendermaßen: Schließen Sie die Augen und hören Sie zu. Wenn Sie den Klang des Windes, der Wellen und der Vögel hören, dann sagen Sie woran Sie denken.
Masahiro Matsuzaka war nach der Katastrophe freiwilliger Helfer. Er hat viel Leid gesehen, welches ihn bis heute belastet. Telefonieren hilft, sagt er: "Man denkt, es hört ja keiner zu, also kann man frei sprechen. Wenn man die Dinge, die sich aufgestaut haben, in Worte fassen und rauslassen kann, dann erleichtert das."
Mehr als 10.000 Trostsuchende aus aller Welt
Seit der Tsunami das ganze Dorf zerstört hat, werden immer noch mehr als 400 Menschen vermisst. Die Zeit hat viele Wunden noch nicht geheilt. Mittlerweile haben mehr als 10.000 Trostsuchende aus aller Welt hier auch ohne Festnetzanschluss den Draht zu ihren Toten gehalten. "Das Telefon des Windes hat meine Worte zu meinem Vater getragen und er hat gesagt, dass alles okay ist", sagt Besucher Yoshihisa Masuko.
Itaru Sasaki hat der Welt in aller Bescheidenheit seinen Garten geöffnet, ein bisschen stolz ist er trotzdem: "Es ist zwar nur eine Telefonzelle des Windes in meinem Garten, aber ich glaube, dass sie etwas in der Welt verändert."
Auch wenn die Leitung tot ist, die Beziehung zu den Verstorbenen bleibt durch dieses Telefon lebendig. Ein tröstlicher Gedanke.
Autor: Nils Kicker, ARD-Studio Tokio
Stand: 13.07.2019 07:23 Uhr
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