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Kenia: Witwenschändung – Kampf gegen einen barbarischen Brauch

Kenia: Witwenschändung Kampf gegen barbarischen Brauch | Bild: NDR

Sie sind Witwen, sie kennen den Schmerz, den geliebten Partner zu verlieren. Sie kennen auch gesellschaftliche Ächtung, Druck und Armut. Manche werden wahnsinnig darüber. Rose Orwa hat zweimal ihren Mann verloren und ist daran fast zerbrochen. Nun will sie das Leid anderer Witwen lindern. Gerade ist der Mann ihrer Bekannten Stella Akello gestorben, er hatte Tuberkulose. Rose tröstet, so gut es geht. Vor allem will sie das Schicksal der verwitweten Frauen ändern. Der Trauergemeinde sagt sie: "Wir müssen aufhören, Witwen zu missbrauchen. Sie haben Rechte wie alle!"

Rose Orwa
Rose Orwa will das Leid anderer Witwen lindern. | Bild: NDR

Bei der Volksgruppe der Luo werden Witwen an die Familie des Verstorbenen weiter vererbt. Zuvor müssen sie dem sogenannten Witwen-Reinigungs-Ritual unterzogen werden – nichts anderes als sexueller Missbrauch. "Sexuelle Reinigung heißt: Selbst wenn die Witwe 60 Jahre oder älter ist, wird irgendein Mann bestimmt, der ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr hat, um sie vom Tod des Ehemannes zu reinigen. HIV und Aids verbreiten sich so ungehindert. Die Frauen sind dann stigmatisiert. Wenn sie dem Ritual nicht zustimmen, sind sie aber auch stigmatisiert. Eine Witwe hat keine Chance. Wer den Mann verliert, verliert alle Rechte", erklärt Rose Orwa.

Rose versucht, Stella zu beruhigen: "Du musst das alles nicht mitmachen", sagt sie, "und vor allem, du bist nicht alleine!" „Ich vermisse meinen Mann sehr. Er konnte sogar kochen, was in unserer Kultur ganz und gar nicht normal ist. Vor seinem Tod hat er mir noch gesagt, dass er gegen die Witwenvererbung und das Reinigungsritual ist", sagt Stella Akello.

Im Nebenjob Witwenreiniger

Ezekiel Siso
Ezekiel Siso: Fischer und im Nebenjob sogenannter Witwenreiniger. | Bild: NDR

Am Victoriasee in Westkenia ist es auch im 21. Jahrhundert Brauch, dass Frauen nach dem Tod ihres Mannes "gereinigt" werden. Stimmt eine Witwe nicht zu, wird sie ausgegrenzt. Früher übernahmen männliche Verwandte den Missbrauch, heute gibt es dafür Profis: Ezekiel Siso ist Fischer. Das bringt wenig Geld – daher ist der Familienvater im Nebenjob sogenannter Witwenreiniger. Er kümmert sich auch nach dem Ritual um die Alleinstehenden. Dafür wird er von der Familie der Witwe mit Nahrungsmitteln oder kleineren Geldbeträgen entlohnt. "Als ich das das erste Mal gemacht habe, war ich 16. Damals habe ich kein Geld dafür bekommen, ich habe es nur aus Respekt vor den Dorfältesten gemacht", erzählt Siso.

Auch Jane Owino hatte mit dem Tod ihres Mannes alle Rechte verloren. Sie war auf Ezekiels Dienste angewiesen. Und ist es noch. "Wenn ich nicht zugestimmt hätte, wären meine Kinder die Leidtragenden gewesen. Meine Tochter hätte nie heiraten können. Und mein Sohn hätte als Sohn einer ungereinigten Witwe nie eine Frau gefunden. Ich habe es nur meinen Kindern zuliebe gemacht." Sie konnte Ezekiel akzeptieren, weil er immerhin aus ihrem Dorf kommt.

Jane wird für ihn wohl die letzte Witwe sein, mit der er das umstrittene Ritual vollzogen hat: "Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Ich bin HIV-positiv und fühle mich oft schwach. Ich hoffe, dass die Medikamente, die ich inzwischen bekomme, mir helfen. Ich möchte wieder richtig als Fischer arbeiten und nicht darauf angewiesen sein, mit Witwen für Geld Sex zu haben."

Gesetz zählt bei den traditionellen Luo wenig

Plakat gegen Witwenschändung in Kenia
Rose Orwal hofft auf eine neue Frauengeneration, die in Würde leben kann. | Bild: NDR

Die Stiftung der Witwenhelferin Rose Orwa organisiert regelmäßig Treffen zur Trauerbewältigung. Die Erzählungen gleichen sich alle. Nach dem Tod des Mannes fühlen sich die Frauen ohnmächtig und ausgeliefert. Das Gesetz haben die Witwen zwar auf ihrer Seite, aber das zählt bei den traditionellen Luo wenig. Vor allem alte Frauen leiden. Um ihnen zu helfen, arbeitet Rose mit jungen Witwen zusammen. Sie besuchen Leidensgenossinnen, die in Armut leben.

Gertrud Onyango ist ein besonders trauriger Fall. Sie hat nicht nur den Mann, sondern auch alle ihre Kinder verloren und ist schwer krank. Mit dem wenigen Geld, das Rose für ihre Witwenstiftung sammelt, kann sie nicht viel ausrichten. Manchmal ist das auch für sie schwer zu ertragen.

Ein bisschen Hoffnung schöpft Rose aus der Arbeit mit Kindern. Ihre Stiftung hat ein Waisenhaus ins Leben gerufen. Es gibt Jungen und Mädchen, die beide Elternteile verloren haben, ein neues Zuhause. Und für viele Witwen ist es eine Aufgabe, mit deren Hilfe sie ihr Schicksal besser meistern lernen. "Ich hoffe, dass eine Generation heranwächst, die nicht gereinigt und vererbt wird, eine neue Frauengeneration, die in Würde leben kann, wenn der Mann gestorben ist. Die Frauen sollen ihre Rechte kennen und als Menschen respektiert werden", sagt Rose Orwal. Bis dahin ist es im Westen Kenias noch ein weiter Weg.

Autorin: Sabine Bohland, ARD-Studio Nairobi

Stand: 13.07.2019 07:23 Uhr

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