Mo., 21.11.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Stürmische Zeiten – Die schrumpfende Insel
Dezember 2013: Sturm Xaver schlägt, gepaart mit einer hohen Flut, vernichtend an der Küste Norfolks zu. Bryony Nierop-Readings Haus überlebt die Sturmnacht, aber sie kann das Schicksal nicht aufhalten. Die Macht der Natur ist größer. Das Meer, dass sie so liebt, hat sich in ihr Leben gefressen, drei Viertel ihres Haues sind bereits verschlungen. Es ist nicht mehr viel, dass Bryony Halt gibt. Eigentlich sollte sie nicht mehr in ihrem Haus sein. "Noch ein paar Wochen, dann ist der letzte Teil meines Besitzes verschwunden, das macht mich sehr traurig", sagt Nierop-Reading. "Klumpen für Klumpen – jeden Tag verschwindet das Land." Jetzt, wo die Herbststürme die Wellen aufpeitschen und das Meer immer wilder wütet, wird die Zeit knapp. Große Stücke Land brechen immer wieder weg. Unter den Steinen ist jetzt nichts mehr, die Klippe ist ausgehöhlt.
Schubkarre für Schubkarre: Bryony rettet ihre Habseligkeiten
Der Meeresspiegel steigt – die Insel schrumpft. Sie bricht an ihren Rändern weg, Küstenerosion. Die Verteidigungslinien sind durchlässig. Diese Ecke hat die Regierung in London aufgegeben, vergessen – in dieser ärmlichen Gegend ist eben nicht viel zu holen, meint Bryony. "Als ich 2009 einzog, gab es noch die Schutzmauer, die Felsen, eine Metallaufschüttung und dann erst schlug das Meer an die Klippen. Davon steht kaum noch etwas – ich neige ja nicht zur Verschwörungstheorie – aber es sieht schon so aus, als wolle man mich mit Gewalt hier wegbekommen."
Eine Prise Eigensinn, eine Portion Sturheit, kann man Bryony nicht absprechen – ein Entschädigungsprogramm und den Umzug lehnte sie ab – als einzige. Jetzt muss sie die letzten Habseligkeiten retten – vor allem die geliebten Bücher. Schubkarre für Schubkarre. Sie schiebt und schiebt, das Meer im Nacken und irgendwann erreicht es auch ihren Wohnwagen. Deswegen wollen die Behörden sie demnächst zwangsweise vom eigenen Land entfernen. Solange wie möglich will sie das Thema in der Öffentlichkeit halten. Sie ist das Gesicht der Erosion. "Ich fürchte, wenn ich hier weg bin – dann wird die Verwaltung in Norfolk schlicht behaupten, Erosion sei gar kein Problem. Die stecken den Kopf einfach in den Sand." Happisburgh ist immer näher ans Meer gerutscht – über Jahrhunderte, zuletzt immer schneller. Irgendwann erreichen die Wellen auch die Kirche, den Friedhof.
"Du kannst das Meer nicht bezwingen"
Auch Malcolm Kirby hat das Meer zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Als Aktivist hat er 2013 dafür gesorgt, dass die Flutopfer von Happisburgh entschädigt wurden. Die Inselnation, meint er, habe zu wenig Respekt vor dieser Urgewalt. "Du kannst das Meer nicht bezwingen. Du musst lernen mit ihm zu leben, Du musst dich seinem Willen, seinen Wünschen unterordnen." Wenn nötig, müsse eben ein Dorf umziehen, landeinwärts. Nicht jeder Landstrich kann gerettet werden, und sehr viel grundsätzlicher muss die Politik auf die Erosion reagieren, den Klimawandel bekämpfen. "Wir alle haben Anteil am Klimawandel und der Erderwärmung – die finanziellen Mittel müssen auch in diesen Kampf fließen. Noch mehr Schutzmauern sind nicht unbedingt die Lösung", sagt Kerby.
Es ist die Macht des Meeres, die Bryony jetzt vertreibt, die ihre Insel kleiner macht. "Es ist schon eine Ironie, jetzt in den Brexit-Zeiten sollen wir doch wieder groß werden, de facto aber schrumpfen wir. Und niemand macht etwas", sagt Bryony Nierop-Reading. Solange es geht, will sie ausharren – oben auf der Klippe.
Autorin: Hanni Hüsch, ARD-Studio London
Stand: 13.07.2019 07:23 Uhr
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