Mo., 21.11.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ukraine: Korruption – Was bringt das neue Transparenzgesetz?
Es war die Fernsehnachricht, als jeder Ukrainer es endlich im Internet nachlesen konnte: teure Villen, Autos, Schmuck, und viele Hunderttausend Dollar oder Euro in bar gaben einzelne Beamte und Volksvertreter an. Vor dem Parlament protestieren Rentner, als die Abgeordneten zwei Tage nach den Enthüllungen zur ersten Plenarsitzung kommen. Spannung liegt in der Luft, denn alle wissen: Viele Reichtümer, die jetzt bekannt wurden, sind kaum erklärbar durch Abgeordneten-Diäten. Der Argwohn der Reporter: die Früchte der weit verbreiteten Korruption.
Regierung Poroschenko steht unter gewaltigem Druck
Auch unter großem Druck aus den USA und Europa hatten die Abgeordneten für das neue Transparenzgesetz gestimmt, jetzt fürchten viele den Zorn der Wähler: "Die Menschen halten uns für Lumpen, und das völlig zu Recht. Erst recht, weil die Provinz danieder liegt", sagt Wladimir Litwin, unabhängiger Abgeordneter. Viele im Plenarsaal ahnen wohl, dass andere Zeiten anbrechen. Die Regierung Poroschenko steht unter gewaltigem Druck der Maidan-Aktivisten, die einen weniger korrupten Staat fordern.
Rückblick: Januar 2014: Spezialeinheiten greifen Aktivisten in ihren Autos an, die gegen den damaligen Präsidenten Janukowitsch demonstrieren. Dessen Richter verurteilen sie dann. Fast drei Jahre später: Die Opfer von damals sammeln jetzt Material über korrupte Richter, 8.000 Dossiers sind bereits online. Roman ist Anwalt und erinnert sich gut. Die Richter, die damals Gewalt gegen Demonstranten deckten, sollen sich jetzt verantworten. "Vor meinen Augen sind Menschen getötet worden. Und ich habe geschworen, dass sie nicht umsonst gestorben sind."
Anti-Korruptions-Einheit bekommt belastendes Material
Belastendes Material übergeben sie einer neu gegründeten, unabhängigen Anti-Korruptions-Einheit. Den Justizbehörden misstrauen sie. "Wir wissen, dass die Behörden, die in Deutschland und anderswo gegen Korruption kämpfen, also Staatsanwälte, Gerichte, Polizei, dass die hier bei uns selbst die korruptesten sind", sagt Aktivistin Katia.
Der Richter, den sie jetzt im Auge haben, hatte zuerst nur eine kleine Wohnung angegeben. "Durch seine Vermögens-Angaben im Internet sahen wir aber, dass er zwei Häuser hat: Eines mit 450 Quadratmetern, in der Nähe von Kiew, und eines mit 150 Quadratmetern, auch nahe Kiew. Und drei Autos", sagt Katia. Sie hat anhand der Immobilienpreise den Wert des größeren Hauses geschätzt: 400.000 Euro. Dazu, wie ihre Drohne schnell offenbart, kommt ein ungewöhnlich großes Grundstück – bei 2.000 Euro Monatsgehalt ein schwer erklärbarer Reichtum dieses Richters. Und das Haus wurde auch noch näher als erlaubt am Flussufer gebaut, sehen die Aktivisten.
Alle Richter auf dem Prüfstand
Korrupte Strukturen aufbrechen ist ein mühevolles Geschäft. Vor einer Kommission müssen sich jetzt alle ukrainischen Richter erneut für ihre Aufgabe qualifizieren. Das verlangt die Justiz-Reform. Der Eigentümer des Hauses am Fluss ist vorgeladen, wir dürfen nur die Übertragung filmen. Woher kommt das Geld? Hat er sich an der Willkürjustiz des alten Regimes beteiligt? Viele bohrende Fragen, dann wird wieder vertagt. Der Richter wirkt nicht sonderlich besorgt über seine Zukunft. "Ach, wäre ich nicht zuversichtlich wäre ich doch längst selbst gegangen. Die müssen das doch machen, es wurde ihnen befohlen. Was soll ich sonst dazu sagen." Die Häuser hat er sich zusammengespart, die Ehefrau hat geholfen, so seine Erklärung. Es weht ein frischer Wind, doch ob die große ukrainische Justizreform tatsächlich der Korruption unter Richtern und Staatsanwälten ein Ende macht, ist völlig offen. Sie bilden eine schwer aufzubrechende Kaste der – bisher zumindest – Unberührbaren.
Rechtsanwalt Roman vertritt ehrenamtlich Opfer dieser Richterin aus der Janukowitsch-Zeit: Maidan-Demonstranten, die sie zu Unrecht verurteilt hatte. Ihr drohen bis zu acht Jahren Gefängnis. Eine Richterin, die nun selbst vor einem Richter steht, das ist die Ausnahme, gerade einmal fünf solcher Fälle gibt es bisher. Und auch diese Verhandlung dauert nur wenige Minuten, dann muss der Richter einen neuen Termin vereinbaren. "Der Staatsanwalt ist einfach nicht erschienen. Es wäre ziemlich einfach, ihre Schuld zu beweisen. Aber das ist nicht im Interesse unserer Staatsanwaltschaft, und auch die Gerichte wollen in solchen Fällen Schuldsprüche vermeiden. Da liegt das Problem", sagt Roman.
"Die Staatsanwaltschaft ist eine der korruptesten Strukturen"
Politische Prozesse, Korruption – die Reinigung der Justiz ist ein mühsamer Prozess. Auf Druck des Westens schuf Präsident Poroschenko eine neue, völlig unabhängige Einheit zur Korruptionsbekämpfung: NABU. 250 Detektive, Spezialkräfte. NABU soll den gordischen Knoten durchschlagen. Noch läuft die Rekrutierung. Transparent, überwacht von gesellschaftlichen Gruppen und westlichen Experten. Die alten Justiz-Seilschaften sollen niemanden einschleusen können. Dossiers über verdächtige Reichtümer von Richtern und Staatsanwälten hat Leiter Artjom Sidnik genügend. Doch genau deren Widerstand ist enorm: " Nur ein Staatsanwalt konnte bisher einen anderen Staatsanwalt hinter Gitter bringen. Jetzt aber verfolgen wir sogar leitende Staatsanwälte. Schon in den ersten Monaten haben wir zehn zur Verantwortung gezogen. Und das gefällt der Staatsanwaltschaft natürlich überhaupt nicht. Aber solche Vorfälle werden unsere Arbeit nicht stoppen. Wir machen weiter, weil wir wissen: Die Staatsanwaltschaft ist eine der korruptesten Strukturen in der Ukraine", so Sidnik. NABU-Korruptionsbekämpfer gegen Staatsanwälte – bis hin zum spektakulären Straßenkampf ging dieser Interessenkonflikt schon. Sieger: NABU
Der Maidan, drei Jahre danach. Der Machtkampf, der hier so blutig begann, ist noch längst nicht entschieden. Die über Jahrzehnte korrupten Eliten verteidigen sich mit aller Macht gegen ihr Volk, das vom Rechtsstaat nach europäischem Vorbild träumt.
Autor: Udo Lielischkies, ARD-Studio Moskau
Stand: 13.07.2019 07:23 Uhr
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