Mo., 21.11.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Jordanien: Lebensmut – Ein Junge gibt nicht auf
Schwimmer brauchen einen starken Oberkörper. Und Bassil braucht das ganz besonders. Bassil, der Zehnjährige aus Syrien, trainiert für die Paralympischen Spiele. So hoffen es jedenfalls die Leute, die sich um ihn in in Amman, Jordaniens Hauptstadt, kümmern. Bassil kam vor knapp zwei Jahren aus Syrien. Es ist sein erstes Schwimmtraining. "Bassil ist unglaublich. Ich habe Gänsehaut überall. Es ist unvorstellbar, wie viel Energie und was für einen unbändigen Willen dieser Junge hat. Ich wünsche mir, dass wir beisammen bleiben. Hoffentlich", sagt Schwimm-Trainer Kassim Jaber.
Bassil ist ein Opfer des schrecklichen Krieges, der in Syrien tobt. Aber Bassil hat nicht vor, ein Opfer zu bleiben. Wir trafen Bassil zum ersten Mal vor ein paar Monaten. Seine Fröhlichkeit und sein unglaublicher Wille haben uns beeindruckt. Ich bin ein ganz normaler Junge, sagt er, und ich mag das Wasser. "Es war ganz schön schwierig heute, es war das erste Training! Am Anfang ist es immer schwierig, das ist doch klar", sagt der tapfere Junge. Noch sind die Paralympics nur eine Vision, eine Idee, was Bassil schaffen könnte – wenn er selbst es wirklich will.
Bassils Familie sitzt in Syrien fest
Bassil lebt bei einer kleinen syrischen Hilfsorganisation in Amman, den "Syrerinnen über Grenzen hinweg". Die Hilfsorganisation ist Bassils Zuhause geworden. "Bassils Botschaft wird am Ende alle Kinder erreichen: Es gibt Hoffnung. Wir werden Syrien wieder aufbauen. Es gibt immer Hoffnung", sagt Samira Tayan von der Organisation Souriyat accross Borders.
Bassil hat in Jordanien so etwas wie eine Ersatzmutter: Umm Osama. Sie bringt ihn in die Schule. Bassils echte Mutter sitzt in Syrien fest, mit einer Schwester und einer Nichte. Die jordanische Regierung lässt sie nicht zu ihrem Sohn ziehen. Bassils Vater starb bei einem Bomben-Angriff.
Am Anfang, als Bassil gerade aus dem Krankenhaus kam, war er ganz anders als heute, erzählen sie uns: zornig, unnahbar. Spiegel waren ihm unerträglich. In der Schule gibt es nicht nur Arabisch-Unterricht, sondern auch eine Psychologin. Das und die Ersatzfamilie in der syrischen Organisation haben Bassil offenbar wieder Halt gegeben. "Ich mag die Schule gerne. Ich lerne neue Sprachen, ich kann alles mögliche lernen, und später studieren", sagt Bassil. Bassils Mut kennt kaum Grenzen, andere wollen für ihn vorsichtig sein. Er selbst möchte spielen, klettern, springen. Wie fast jeder andere Junge mit zehn Jahren.
"Was haben Kinder wie Bassil verbrochen?"
Umm Osama hat selbst eine Familie, aber ihr Pflegekind Bassil ist ihr ans Herz gewachsen. Sie kümmert sich um alles Häusliche: Essen, waschen, Hausaufgaben. Auch sie ist aus Syrien geflohen, aus Homs – schon 2012.
"Was haben Kinder wie Bassil verbrochen, dass sie so etwas erleiden müssen? Die Beine verlieren, von seiner Mutter getrennt sein, der Vater getötet. Er ist ein Kind. Er sollte seine Kindheit genießen können. Ich glaube, Gott hat uns auserwählt, für ihn da zu sein", sagt Umm Osama. Bald wird Umm Osama Bassil womöglich verlassen: Sie hat die offizielle Zusage, dass sie nach Chicago umsiedeln darf. Wenn auch seit der US-Präsidentenwahl keiner ihr sagen will, wann es tatsächlich los geht.
Umm Osama glaubt, der Krieg ins Syrien wird noch Jahre dauern, sie hat die Hoffnung längst verloren. Obwohl Bassil anderen so viel Hoffnung gibt. "Ich würde den Leuten in Syrien gerne sagen: 'Hört auf zu kämpfen, macht Syrien wieder so, wie es früher war.' Alles soll wieder normal und schön sein."
Das Herz eines Champions
Bei den künstlichen Beinen wird Bassil zum ersten Mal etwas ängstlich, er läuft auf eigentlich viel zu kurzen Prothesen. Doch bei längeren hat er Sorge, er könnte stürzen. "Ich bin schneller ohne Prothesen, und ich habe das Gefühl, das bin nur ich, ohne irgendwas fremdes dran", sagt Bassil. Er trainiert – vielleicht für Olympia. Es ist sein erstes Schwimmtraining, und Bassil will gleich einmal quer durchs Becken schwimmen. Wenn Bassil am Ende entscheidet, einfach nur Spaß zu haben im Wasser, wird ihm das sicher niemand übel nehmen. Doch Bassil kann es schaffen, wenn er will. Der Zehnjährige aus Syrien, dem der Krieg beide Beine und eine Hand geraubt hat, hat das Herz eines Champions.
Autor: Volker Schwenck, ARD-Studio Kairo
Stand: 13.07.2019 07:23 Uhr
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