Mo., 03.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Jordanien: Schutz im Wüstenstaat
Noch wärmt die Sonne nicht. Am frühen Morgen ist es empfindlich kühl in Jordanien. Der Winter naht. Der fünfte Winter in der Fremde für die meisten dieser syrischen Flüchtlinge. Ein jordanischer Bauer lässt sie für wenig Geld auf seinem Land leben. Dafür müssen sie in seinen Gewächshäusern arbeiten und verdienen umgerechnet einen Euro 25 pro Stunde.
Kinderarbeit ist normal unter syrischen Flüchtlingen
Mohammed ist gerade 14 geworden. Tomaten hochbinden, Gurken ernten, was eben so anfällt – er macht das schon seit drei Jahren. Am Anfang musste er sogar Steine schleppen. Kinderarbeit ist normal unter syrischen Flüchtlingen – nicht nur in Jordanien. "Zuerst war es schwer, aber dann habe ich mich daran gewöhnt", sagt Mohammed.
Millionen Syrer sind auf der Flucht. Darunter viele Kinder. Drei Geschichten wollen wir erzählen. Drei Schicksale von Kindern. Der Krieg hat sie aus ihrer syrischen Heimat vertrieben und gezeichnet. Jetzt leben sie in der Fremde wie Mohammed, der nicht spielen oder lernen darf, sondern den ganzen Tag arbeiten muss. Mohammeds Familie floh vor drei Jahren aus Hama. Sechs Geschwister hat er, die Mutter hat genug zu tun, und der Vater kann nicht arbeiten. Die Erlebnisse im Krieg haben ihn seelisch kaputt gemacht, sagt ein Nachbar.
"Nein, ich bin nicht glücklich. Die Arbeit ist sehr anstrengend. Und ich gehe nicht zur Schule, ich lerne nichts, gar nichts", offenbart Mohammed. "Wir alle verlassen uns auf ihn. Er ernährt die ganze Familie. Seine Geschwister sind alle noch klein, seine Schwester hier muss jetzt auch arbeiten. Sie ist zehn, aber nur so kommen wir über die Runden", erzählt Mohammeds Mutter.
"Ich will eine Ausbildung, das sind meine Waffen fürs Leben"
Drei Geschichten, drei Schicksale. Wir sind in Zaatari, dem großen Camp für 80.000 Flüchtlinge nahe der syrischen Grenze. Auch Omeima lebt hier. Omeima ist 15. Und damit längst eine potentielle Braut. Fast jede hier hat schon einen Heiratsantrag bekommen. Im Lager werden Mädchen oft früh verheiratet, viele Eltern glauben, sie würden ihren Töchtern damit was Gutes tun.
"Ich habe viele junge Mädchen gesehen, deren Leben wurde durch so eine Heirat zerstört. Und wenn die Mädchen ihre Mütter fragen, dann bekommen sie zu hören: da musst du durch, das wird besser mit der Zeit. Die Mütter wissen es doch selber nicht anders. Also liegt die ganze Last auf dem Mädchen", sagt Omeima. In Jordanien sind Ehen unter Minderjährigen verboten. Also passiert es heimlich. "In meiner Klasse waren viele Mädchen, so alt wie ich, die kamen plötzlich nicht mehr in die Schule. Die Eltern hatten sie verheiratet", erzählt die vierzehnjährige Maria.
Omeima klärt Gleichaltrige im Lager darüber auf, dass Mädchen mit 15 zur Schule gehen sollten, nicht heiraten. Die Schule unterstützt sie dabei und ihre Eltern. Omeimas Mutter sagt, in den ländlichen Regionen Syriens wurden Töchter schon immer früh verheiratet, auch mal mit 14 oder 15. Aber seit so viele Syrer Flüchtlinge sind, habe das dramatisch zugenommen. Die Töchter sollen versorgt sein. "Die Familien denken: bald gehen wir zurück – aber sie sind immer verunsichert, entwurzelt. Darum verheiraten sie ihre Kinder so früh. Leider ist es das absolut Falsche", findet Omeimas Mutter.
"Ich werde auf keinen Fall so früh heiraten. Es ist schlecht für meine Gesundheit, ich will was lernen, zur Schule gehen. Ich will eine Ausbildung, das sind meine Waffen fürs Leben", fordert Omeima. Der Krieg in Syrien hat Omeima die Heimat geraubt. Und die unbeschwerte Kindheit. Aber nicht ihren starken Willen. Drei Kinder, drei Schicksale.
Der Krieg der Erwachsenen hat ihr Leben verändert
Bassil, der zehnjährige aus Deraa, ist ein fröhlicher Junge. Er liebt Fußball in jeder Form. Bassil fehlen eine Hand und beide Beine. Er lebt bei einer privaten Hilfsorganisation in Amman. Fast genau zwei Jahre ist es her, dass Bassil in Syrien beim Spielen mit Freunden irgend so ein Ding fand – eine Mine, ein Blindgänger, Streumunition, irgendwas. Das Ding explodierte. Die beiden Freunde starben. Aber er sei noch genau derselbe wie vorher, sagt Bassil. "Nichts hat sich für mich verändert, ich habe ein ganz normales Leben. Ich bin nur in ein anderes Zuhause gezogen."
Bassils Vater kam bei einem Bombenangriff ums Leben, seine Mutter sitzt mit den Geschwistern noch immer in Syrien fest. Das hier ist seine Familie, das ist sein Daheim. Bassil hat auch Prothesen, aber er mag sie nicht besonders. Ab morgen, vielleicht, will er die künstlichen Beine häufiger anlegen, hat er seinem Betreuer versprochen. Zu Syriens Machthaber Assad würde er gerne sagen: "Hör auf damit. Die Menschen werden umgebracht, ganz Syrien wird zerstört. Es ist genug." Mohammed, Omeima, Bassil. Drei Flüchtlingskinder aus Syrien. Der Krieg der Erwachsenen hat ihr Leben verändert. Und das von Millionen anderer Kinder.
Autor: Volker Schwenck/ARD Kairo
Stand: 12.07.2019 21:59 Uhr
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