Mo., 03.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Israel/Palästina: Eine Kinder-Reporterin stoppt Soldaten
In der analogen Welt ist Janna ein Schulmädchen wie viele andere. Sie geht auf eine palästinensische Mädchenschule in Ramallah. Aber in der digitalen ist die Zehnjährige längst ein Star. Seit bald drei Jahren schon. Wegen ihrer Videos.
Eine junge Palästinenserin kämpft mit ihrer Kamera gegen die israelische Besatzung
"Haut ab aus meinem Land", ruft sie israelischen Soldaten entgegen. Stellt die verwackelten Bilder auf Facebook, Youtube oder Instagram. Die Botschaft ist immer dieselbe: Eine junge Palästinenserin kämpft mit ihrer Kamera gegen die israelische Besatzung. Zehntausenden gefallen ihre Videoclips, mehr als 200-tausend folgen Janna. Dass sie mit Nachnamen Jihad heißt, ist Zufall. Hat ihren Mythos als Kinderstar des Krieges aber nur vergrößert.
Sie weiß genau um ihre prominente Wirkung und spielt damit. Dann wieder spielt sie nur und weiß es nicht. Wie eben Zehnjährige so sind. "Ich will mal Ärztin werden", sagt ihre Freundin. "Ich Journalistin, um Palästina zu befreien", sagt Janna. "Aber wir haben nichts gegen Juden." Da werden sie plötzlich ernst. Wollen nicht missverstanden werden. "Wir mögen die Juden, wir haben jüdische Freunde. Wir wollen nur ein Ende der Besatzung."
Das israelische Militär steht mit einem Posten direkt vor Jannas Dorf. Nabi Salih in der Westbank. Der Ort und seine 600 Bewohner sind Ausgangspunkt all ihrer Dokumentationen. Hier spielt sich auf engem Raum der große Konflikt ab: Wem gehört das Land? Am Hang gegenüber wächst seit 1977 die jüdische Siedlung "Halamish". Vor ein paar Jahren haben die Siedler die örtliche Quelle beschlagnahmt.
Von der Angst will sie sich nicht beherrschen lassen
Daraufhin begannen die Bewohner von Nabi Salih jeden Freitag zu demonstrieren. Zusammenstöße mit dem israelischen Militär sind für Janna normal. So etwas, erlebt sie seit ihrem dritten Lebensjahr. Ihr Cousin und ihr Onkel wurden dabei erschossen. "Natürlich habe ich jetzt Angst hier. Wenn man mit der Besatzung lebt, hat man immer Angst. Dass ich noch jemanden verliere. Mich selbst verliere, dass ich festgenommen werde, oder dass ich verletzt werde", offenbart Janna. Aber von der Angst will sie sich nicht beherrschen lassen. "Deshalb dokumentiere ich alles mit der Kamera. Das Leben hat mich zu der gemacht, die ich bin. Das Leben unter der Besatzung." Und auf die Nachfrage, ob sie ihre Internetfilme wirklich ganz alleine aus eigenem Antrieb mache. "Ja. Ich alleine. Denn wir alle bekommen hier direkt nach der Geburt den Widerstand eingepflanzt."
Es sind vor allem solche Bilder, die Fragen aufwerfen: Kinder, wie Janna, stehen bei den Demonstrationen in der ersten Reihe. Ihnen gegenüber oft mit dieser Situation vollkommen überforderte Soldaten. Viele selbst noch sehr jung. Eines der meistgeklickten Videos zeigt Janna vor ein paar Jahren, wie sie einen der Soldaten anbrüllt. Und wie einer der Soldaten plötzlich ausflippt und sich einen der jungen Demonstranten schnappt. Ob und wie der Junge ihn provoziert hat, sieht man freilich nicht. Unter den Demonstranten, die nun versuchen das Kind dem Soldaten zu entreißen, ist auch Jannas Mutter, die Frau mit dem schwarzen Hijab. "Lass ihn los! Er ist doch noch ein Kind!", fordert sie.
"Wir hatten eine starke Mutter und ein sehr schwieriges Leben"
Nawal Tamimi erzieht Janna allein. Sie ist geschieden. Arbeitet für ein Frauenhaus, einer Zufluchtsstätte für Opfer von Gewalt in der Familie. Eine außergewöhnliche Biographie für die Verhältnisse im palästinensischen Westjordanland. Dass sie im Dorf die Kinder bewusst in den Vordergrund stellten, weist sie zurück. Aber sie könnten und wollten deren Aktionen eben auch nicht verhindern.
"Als ich 1968 geboren wurde, saß mein Vater wegen Widerstand im Gefängnis. Wir hatten eine starke Mutter und ein sehr schwieriges Leben. Sie hat uns gelehrt, stark zu sein und uns nur auf uns selbst zu verlassen. Genauso habe ich auch meine Tochter erzogen. Ich mische mich nicht in das ein, was sie dreht. Das entscheidet sie selbst. Aber ich verbiete es ihr auch nicht. Sie lebt ja mit dem Konflikt vor der Haustür. Und sie ist schon als kleines Mädchen traumatisiert worden. Soll ich ihr also etwa voller Euphorie erzählen, dass das Leben schön ist?", sagt Jannas Mutter.
Eine Bloggerin, die die Macht der Bilder geschickt nutzt
Und dieses Trauma verarbeitet Janna Jihad in ihren tausendfach angeklickten Videos. Ihr Leben im Dorf Nabi Salih gegenüber der jüdischen Siedlung "Halamish". Ihre Seite der Wahrheit, in diesem endlosen Konflikt. Auch wenn sie sich gerne als Journalistin bezeichnet, ist sie vielmehr eine Bloggerin ist, die geschickt die Macht der Bilder nutzt. "Eigentlich will ich auch gar keine Journalistin sein. Wenn Palästina befreit ist, möchte ich gerne Fußball-Spielerin werden, oder Wissenschaftlerin."
Und manchmal will sie auch einfach nur kleine Tochter sein, von der Mama verwöhnt werden. Gemeinsam schön feierlich ausgehen, wie hier in palästinensischer Nationaltracht. Und dabei fällt auf: Janna ist ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, und auf dem Foto aus jüngeren Jahren hat diese noch keinen Hijab getragen. Warum sie es heute tut, will sie nicht sagen. "Aber wir sind keine Radikalen. Wir wünschen uns nichts mehr, als ein friedliches Zusammenleben von allen Religionen, von Muslimen, Christen und Juden."
Es gibt also viele Facetten und offene Fragen in dieser Geschichte. Man kann in Janna Jihad eine junge, digitale Ikone des palästinensischen Widerstands sehen. Oder ein Kind, das geschickt als mediale Waffe im Kampf gegen Israel benutzt wird. Oder eben einfach nur eine Zehnjährige, die zu schnell erwachsen werden musste, um ihre Kindheit gebracht wurde – ein Opfer des Nahost-Konflikts.
Autorin: Susanne Glass/ARD Studio Tel Aviv
Stand: 12.07.2019 21:59 Uhr
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