Mo., 12.02.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Jemen: Eine Ärztin kämpft für die Ärmsten
Die Situation im Jemen ist grausam: Laut Angaben der Vereinten Nationen leiden mehr als acht Millionen Menschen an Hunger. Das ist mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Die medizinische Versorgung ist überall katastrophal, besonders aber auf dem Land. Selten gelingt es ausländischen Journalisten, in den Jemen zu kommen. Ein jemenitisches Team, das schon lange für die ARD arbeitet, hatte nun die Möglichkeit, für den Weltspiegel in dem Bürgerkriegsland zu drehen:
Es ist Dienstbeginn für die Kinderäztin Ashwag Moharram. Sie will eigentlich Hausbesuche machen auf dem Land. Aber erstmal ist sie am Eingang der Zentralklinik in Hodeida gefagt. Eine ältere Dame weiß nicht wie sie nach Hause kommen soll. Sie hat kein Geld. Ashwag ruft ihren Fahrer herbei: "Such bitte ein Taxi für sie und gib ihr 2.000 Real, damit sie das Taxi bezahlen kann."
Drei Jahre Krieg: Zahl der unterernährten Kinder ist explodiert
Ein Vater wartet mit seiner völlig geschwächten Tochter auf die Kinderärztin. Von Berufswegen muss Ashwag Optimistin sein, aber sie ist zugleich frustriert. In den drei Jahren des Krieges ist die Zahl der unterernährten Kinder explodiert. Oft ist das Leid für Ashwag unerträglich. Vor allem dann, wenn Kinder erst ins Krankenhaus gebracht werden, wenn es vielleicht schon zu spät ist. Ein Zugang am Arm mit flüssiger Nahrung soll das Mädchen vor dem Tod retten. Die Sechsjährige ist entkräftet. "Sie heißt Aisha", sagt der Vater. Während der ganzen Untersuchung bringt das Mädchen nicht ein einziges Wort heraus. Ashwag wird versuchen das Mädchen zu retten. Aber ihre ganze Arbeit hängt davon ab, ob genügend Hilfslieferungen mit Medikamenten Jemen erreichen.
Nur wenig Hilfe erreicht das Land
Ashwag fährt zum Hafen von Hodeida, um nachzufragen, was diesmal an Hilfsgütern geliefert wurde. Sie kann ihren Augen nicht trauen. Dieses Schiff soll im Auftrag der Vereinten Nationen gekommen sein? "Ist das alles. Alles für den Jemen? Ist das die Medizin von UNICEF? Für das ganze Land?" Ashwag fragt die Hafenmitarbeiter, ob sie eine Erklärung haben, warum es so ein kleines Schiff ist. Auch sie wissen es nicht. "Es reicht nicht. Das Schiff hat die UNICEF geschickt? Wir brauchen die UNICEF für Medikamente, Nahrung, um die Unterernährung von Kindern zu bekämpfen, Cholera, Diphterie. Kann die UNICEF nur so kleine Schiffe leasen? Soll das für 27 Millionen Menschen reichen?", fragt Ashwag.
Der Hafen von Hodeida ist der größte und damit wichtigste Hafen im Gebiet der Houthi-Rebellen. Die saudische Militärkoalition greift ihn deshalb immer wieder an. Schlimm genug sagt Ashwag, noch verbrecherischer seien aber die Bomben auf Häuser von Zivilisten.
Landbevölkerung leidet besonders
Ashwag fährt zu einem Dorf südlich von Hodeida. Die Landbevölkerung leidet besonders unter dem Krieg. Die wenigen Hilfslieferungen kommen oft nicht über die Stadtgrenze hinaus. Deshalb macht sich die Ärztin regelmäßig auf den Weg. Das Dorf Addimnah in der Nähe der Küste: Dort leben sehr arme Fischer. Da die Ärztin ein relativ gutes Einkommen hat, kann sie helfen. Wenn Ashwag kommt, strahlt ihr immer große Dankbarkeit entgegen. Sie ist praktisch der einzige Kontakt zur Außenwelt. Die Folgen des Krieges unübersehbar: schwer unterernährte Kinder. "Früher konnte ich meinem Kind alle zwei Tage Milch geben. Jetzt aber habe ich seit zwei Monaten nichts mehr bekommen", sagt eine Mutter im Dorf. Aus Dankbarkeit, dass Ashwag die Kinder umsonst behandelt, geben ihr die Eltern Henna. Eine kleine Geste mit der sie in ihrer Armut ihre Würde erhalten.
Die Kinder sollen überleben
Den Menschen zu helfen, das ist Ashwags Berufung. Aber es fällt ihr immer schwerer. Sie sieht kein Ende des Krieges, deshalb hat sie als Kinderärztin eine Entscheidung getroffen: "Die Gesundheit der Kinder wird immer schlechter, weil sie nicht ausreichend behandelt werden. Ich habe mir vorgenommen, dass wenn wir schon die Erwachsenen nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen können, müssen wir das wenigstens für die Kinder garantieren. Sie brauchen die Nahrung dringender." Das Wenige, das es gibt, müsse für die Kinder sein, anders gehe es nicht, sagt Ashwag. Und bringt deshalb nur noch Milchpulver in das Fischerdorf. Wenn sie jetzt zurück in die Stadt fährt, wird sie wieder grübeln: Es ist kein gutes Leben, das die Kinder haben, aber sie sollen überleben. Denn sie sind die einzige Hoffnung für den Jemen.
Autor: Alexander Stenzel, ARD-Studio Kairo
Stand: 01.08.2019 03:48 Uhr
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