So., 08.09.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA/Nordkorea: Der Spion, der nicht schweigt
Seit 2001 lebte Kim Dong Chul in der nordkoreanischen Sonderwirtschaftszone Rason nahe der russischen Grenze. Der Geschäftsmann durfte im Auftrag des Regimes in Pjöngjang auch ins Ausland reisen. Bis 2015 hat der heute 67-Jährige militärische Projekte für den US-Geheimdienst ausspioniert. Dann wurde er verhaftet, sechs Monate lang verhört und schließlich zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Vor dem ersten Treffen zwischen US-Präsident Trump und Machthaber Kim Jong Un wurde er mit zwei weiteren inhaftierten US-Bürgern freigelassen.
Das Victory-Zeichen gen Himmel, der US-Präsident applaudiert, die Fernsehkameras laufen. So war Kim Dong Chul mit zwei weiteren Ex-Häftlingen angekommen. Fast 20 Jahre war er weg gewesen, auch von der Tochter, die nahe New York lebt. Bei ihr will ich ihn treffen, so ist es verabredet. Ein Apartment im weiteren Umland, schrieb sie, später dann die genaue Adresse. Ihr Vater ist nur übergangsweise bei ihr. Gerade hat er in Südkorea seine Geschichte einem Verlag anvertraut.
Unter dem wenigen, das er in seiner Tasche trägt, sind zwei Fotos seiner Ankunft, handsigniert von Donald Trump und Frau Melania. Zwei Uhr früh sei es da gewesen, sagt er der Dolmetscherin und mir. Außenminister Pompeo war mit auf dem Flug, Trump kam in Washington herein, um alle zu begrüßen. "Danach wurde ich vier Wochen lang vom FBI ausgefragt. Denen habe ich alles erzählt. Sie meinten, ich sollte öffentlich keine Details schildern. Alles andere sei okay", sagt Kim Dong Chul.
Zwei Jahre zuvor hatte ihn Pjöngjang der Welt als kriminellen US-Agenten vorgeführt, der das Land Nordkorea und dessen Führung habe vernichten wollen. Die Amerikaner sollte so von ihrer eigenen Nachrichtenagentur lesen, wie er sich entschuldigte, auch bei seiner Familie. Zehn Jahre Arbeitslager, das Geständnis erzwungen – ein Schurkenstaat eben. Die Reaktionen im Westen waren einhellig. Und berechtigt. "Naja, ganz falsch war der Vorwurf trotzdem nicht", sagt uns Kim heute. "Ich war tatsächlich Spion." Er zeigt ein Foto: "Diese Fotos etwa zeigen fast 100 Prozent reine Zinkbarren aus Sowjetbeständen. Ein Forscher aus Nordkoreas Atomprogramm hatte sie mir offenbart. Die Fotos übergab ich dann sowohl der CIA als auch dem südkoreanischen Geheimdienst. Ich durfte ja reisen."
Vom FBI angeworben
Die Vorstadt, in der Kims Tochter lebt, könnte auch in Südkorea sein. Koreanisch-stämmige US-Bürger gibt es viele. Als Geschäftsmann war er von hier zunächst nach China und 2001 dann nach Nordkorea gegangen. Als Händler und Hotelier brachte er Devisen ins Land. Das Regime schätzte ihn, erzählt er, machte ihn zum Entwicklungsbeauftragten einer Sonderwirtschaftszone nahe der russischen Grenze. Als Kim Jong Il, der Vater des jetzigen Staatschefs an der Macht war, habe ihn auf einer Geschäftsreise im Süden zum ersten Mal ein CIA-Mann in einem Lokal angesprochen. Dann wuchsen die Spannungen und ein zweiter Anwerbeversuch folgte: "Das war 2011, im Todesjahr Kim Jong Ils. Da gab es viele Gerüchte, wer sein Nachfolger werden könnte und welchen Kurs das Land nehmen würde. Da kam wieder einer auf mich zu. Ich sei doch Amerikaner, sagte er, wir müssen wissen, was in Nordkorea vor sich geht, in der Führung, im Militär, mit den Waffenprogrammen."
Da habe er zugesagt. Geld habe er nicht bekommen. Er habe einfach die Sorge Amerikas verstanden. Nordkorea sei ja wirklich eine Diktatur, die Menschen wie Sklaven halte. "Ich bekam eine Armbanduhr, in die eine Kamera eingebaut war, um zu fotografieren, und ein weitreichendes Lauschgerät, das ich im Ohr tragen konnte. So sollte ich Einzelheiten herausfinden und liefern, über Militärübungen, das Raketen- und das Atomprogramm", erinnert sich Kim Dong Chul.
Stimmt es, dass Sie selbst weitere Mitarbeiter anheuerten, die für sie spionierten?
"Ja, ich ging meist auf einzelne Wissenschaftler und Militärs zu, von denen ich wusste, dass sie Geld brauchten, und bat sie um Informationen."
"Am Ende habe ich auch Leute verraten"
Irgendwann flog er dabei auf, denn das Regime hatte von Beginn auch ihn beobachten lassen. Ein Mittelsmann verriet ihn. Festnahme, Verhör, bis zum Geständnis nach sechs Monaten. Leugnen half nicht, sagt er, zumindest nicht lange. Das Regime konnte ihm zu vieles nachweisen. "Wenn das, was sie hatten, nicht mit dem übereinstimmte, was ich sagte, stellten sie Soldaten mit ihren Stiefeln auf meine Finger. Oder sie schlugen mich oder drückten mein Gesicht unter Wasser. Am Ende habe ich auch Leute verraten und hörte später, dass sie hingerichtet worden seien. Es war furchtbar."
Unabhängige Quellen, die das bestätigen können, gibt es nicht. Dennoch ist es schlüssig.
Reporter: "Sie wollen hier nun wieder neu anfangen. Was sind Ihre Pläne?"
Kim Dong Chul: "Ich bin Koreaner und Amerikaner, kenne beides, und damit meine ich nicht nur das Regime in Pjöngjang und die Waffen, auch die innere Logik und die Eigenarten des Landes. Ich bin jetzt 67 Jahre alt. Wenn ich ganz praktisch helfen könnte, Probleme zu lösen, würde ich mir das wünschen."
Donald Trump feierte seine Schützlinge in seinem Twitterkanal wie Helden. Und sich selbst mit. Auf unsere Anfrage jedoch, ob zur Wahrheit auch gehöre, dass Kim ein CIA-Zuträger war, blieb das Weiße Haus schweigsam. Und das US-Außenministerium antwortete lediglich, dass es dazu nichts sagen werde. Ein Dementi ist das nicht.
Autor: Klaus Scherer, ARD Studio Tokio
Stand: 08.09.2019 20:10 Uhr
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