So., 08.09.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Indonesien: Eine Koranschule für Transgender
Die Reinigung vor dem Gebet ist für Shinta ein alltägliches Ritual. Shinta hieß bei ihrer Geburt eigentlich Santo. Den Namen hat sie geändert, der Glaube ist geblieben. "Ich finde Frieden und Sicherheit im Islam", sagt die Transgenderfrau. Spiritualität sei doch für jeden Menschen wichtig, egal woran er glaube. Muslima und Transgender – für Shinta ist das kein Widerspruch: "Beim Beten geht es doch nicht darum, ob Du ein Mann oder eine Frau bist. Du bist ein Mensch, der die Begegnung mit Gott sucht. Schöpfung trifft auf Schöpfer, ganz unabhängig vom Geschlecht. So sehe ich das."
Bedrohung durch Islamisten
In ihrem Haus hat Shinta 2008 eine Koranschule für Transgender gegründet. Gemeinsam Suren lesen – es ist ein Zufluchtsort, frei von verstohlenen Blicken und Beschimpfungen. Aber ganz frei sind die Transgender auch hier nicht. 2016 musste Shinta die Koranschule für mehrere Monate schließen, weil Islamisten sie bedrohten. Und diese radikalen Stimmen in der Gesellschaft werden immer lauter. "Viele Indonesier sind noch sehr leicht zu beeinflussen, zu manipulieren. Und wir als Transgender sind einfache Ziele. Viele arbeiten als Straßensänger. Manchmal wirst Du mit Wasserflaschen beworfen oder der Vermieter schmeißt Dich einfach aus Deiner Wohnung raus," erzählt Shinta.
Sie hat Glück, sie wohnt in einem eigenen Joglo, einem traditionellen Holzhaus, das sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Es steht mitten in der Altstadt von Yogyakarta. Der Ort steht für das reiche kulturelle Erbe der Insel Jawa. Und über lange Zeit stand es auch für ein friedliches Miteinander von Buddhisten, Hindus und Muslimen.
In ihrem Stadtviertel wird die 58-Jährige mehr oder weniger geduldet. Auch ihre Eltern, sagt Shinta, hätten sich schweren Herzens damit abgefunden, dass sie Transgender ist. "Nur wenn dich deine Familie unterstützt und nicht verstößt, hast Du eine Chance. Sonst kannst Du Deine Ausbildung nicht beenden und hast keine Aussicht auf irgendeinen richtigen Job. Die Familie ist alles", sagt Shinta.
Ayu schminkt sich für einen Auftritt. Die 41-Jährige ist eine Freundin von Shinta und kommt regelmäßig in der Koranschule vorbei. Mit Tanz-Auftritten sammeln die Transgender Geld, um sich finanzieren zu können. "Wir lassen uns nicht einschüchtern", sagt Ayu selbstbewusst. "Der wahre Islam kenne keine Vorurteile. Es gibt so viele, die die Religion als Vorwand nutzen, um aggressiv uns gegenüber zu werden. Das ist nicht richtig. Sie behaupten dann einfach, wir würden Sexpartys veranstalten, obwohl das gar nicht wahr ist. Und dann machen sie uns im Namen des Islams Angst."
Verschärfte Gesetze gegen gleichgeschlechtlichen Sex
Das indonesische Wort für Transgender heißt "Waria", eine Mischung aus den Wörtern "Wanita" und "Pria" - Mann und Frau. Und in manchen Gegenden des Landes gibt es seit Jahrhunderten mehr als nur zwei anerkannte Geschlechter. Doch der höchste islamischer Rat in Indonesien hat 2015 eine Fatwa erlassen, einen Gesetzestext: Gleichgeschlechtlicher Sex sei demnach ein Angriff auf die Würde Indonesiens. Hardliner fordern dafür sogar die Todesstrafe. Politische Spielchen nennt Shinta das: "Transgender zu sein, ist mein Schicksal. Gott hat das für mich entschieden. Es ist sein Wille. Nach meinem Verständnis akzeptiert der Islam Transgender, denn es gab sie hier schon zu Zeiten des Propheten. Es ist also mit dem Islam vereinbar, Transgender zu sein."
Bei der Front Jihad Islam dagegen sehen sie Transgender als eine Krankheit an, die man durch Gebete heilen könne und müsse. Ustad Abdurahman meint: "Jeder sollte bei seinem ursprünglichen Geschlecht bleiben. Gott habe keine Menschen vorgesehen, die halb Mann, halb Frau sind", sagt er. Ustad und seine Männer sammeln gerade Geld für eine eigene Religionsschule. Sie fühlen sich als eine Art Bürger-Patrouille gegen die Sünde: "In Indonesien geben viele Menschen an, dass sie Moslems sind. Aber was sind das für Muslime? Sie wissen nicht viel über die Religion. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den Menschen den wahren Islam und seine Regeln zu erklären."
Jobs in Behörden für Transgender ausgeschlossen
Ayu ist auf dem Weg zum Auftritt. Als Sänger- und Tänzerinnen verdienen sich viele ihr Geld. Manchen bleibt auch nur der Weg in die Prostitution. "Für uns liegt es nahe, in der Schönheits-Branche und im Entertainment zu arbeiten. Vieles andere bleibt uns ja verschlossen – wie zum Beispiel Jobs bei den Behörden oder der Regierung. Da werden wir diskriminiert." Es ist politisch opportun geworden, gegen Transgender wie zu hetzen. Dabei fühlen sie sich doch als genauso gute Muslime wie viele andere Indonesier.
Während sich Menschen in vielen Ländern auf der Welt zunehmend offener gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen zeigen, scheint Indonesien den entgegengesetzten Weg zu gehen. Shinta beobachtet das sehr genau, aber sie hofft, dass das nur eine Phase ist: "Ich glaube immer noch, dass Indonesien die Balance halten kann zwischen demokratischen und konservativen Kräften. Das Pendel schlägt mal mehr auf der einen, mal mehr auf der anderen Seite aus. Aber im Grunde ihres Herzens sind Indonesier eigentlich Menschen, die andere respektieren und akzeptieren."
Autorin: Sandra Ratzow, ARD Studio Singapur
Stand: 09.09.2019 10:08 Uhr
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