So., 02.06.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Bulgarien: Die umstrittene Grenzpolizei
Unterwegs direkt an der Grenze. Wir fahren auf der bulgarischen Seite. Links von uns ist die Türkei. Der bulgarische Grenzschutz nimmt uns mit. Grenze bedeute hier: ein Doppelzaun, mehrere Meter hoch, dazwischen Stacheldraht. Hauptsache niemand gelangt illegal in die EU.
Frage: Ich höre, dass Menschen trotzdem rüberkommen. Wie denn?
Cristo Tsenov, Bulgarischer Grenzschutz: Sie nutzen Aluminium-Leitern, vier bis fünf Meter hoch. Und die sind flexibel, sie bauen sich quasi eine Brücke.
Frage: Und wie könnte man sie stoppen?
Tsenov: Ich glaube, das ist meine persönliche Meinung: Es muss eine politische Entscheidung sein. Aber eine harte.
Frage: Wie?
Tsenov: Gesetze verändern und nicht so demokratisch sein.
Nicht so demokratisch, die Antwort macht mich nachdenklich. Jetzt sprechen wir mit mehreren Menschen, die es geschafft haben. In diesem Jahr laufen die meisten aus Syrien, Afghanistan und Marokko weg. Suleyman – minderjährig, aus Syrien, ein Kind des Krieges. Zwei bis drei Jahre Schule. Sie schnitten ein Loch in den Zaun und waren drinnen. In der EU. "Wir haben Autogeräusche gehört. Wir haben versucht, schneller zu sein, aber der Hund hat uns erwischt. Dann haben sie uns das Handy, das Geld und das Essen genommen. Und dann haben sie uns in die Türkei zurückgebracht." Dort landete er drei Tage im Gefängnis. Er probierte mehrfach, nachts unerlaubt in die EU zu gelangen.
Frage: War das die bulgarische Polizei?
Suleyman: Die bulgarische. Die Sprache war Bulgarisch und das Fahrzeug auch und die Flagge, die war bulgarisch.
Schwere Vorwürfe gegen bulgarische Grenzer
Inzwischen lebt er übrigens in Bulgarien in einem Flüchtlings-Heim. Kürzlich gelangten interne Dokumente der europäischen Grenzschutzagentur Frontex an die Öffentlichkeit. Sie belegen, dass die bulgarische Polizei Menschen mit Gewalt daran hinderte, ins Land zu gelangen. Die Investigativ-Journalistin Anna Cherésheva von “Balkan Insights” hat die Dokumente eingesehen. Seit Jahren sammelt sie Belege und Augenzeugenberichte. "In den Frontex-Papieren steht, dass sie schlagen, Hunde auf Menschen loslassen, sie nackt ausziehen und ihnen alle abnehmen. Dann schieben sie sie zurück. Das ist für mich nicht neu." Schwere Vorwürfe. Das wollen wir einen verantwortlichen Beamten direkt fragen:
Frage: Menschen hatten Blutergüsse auf der Haut. Warum wird so viel Gewalt angewendet?
Damian Stojanov, bulgarischer Grenzschutz: Wahrscheinlich haben Sie andere Leute getroffen. Bei uns ist so etwas bis jetzt noch nie passiert.
Frage: Also, sie arbeiten immer gewaltfrei?
Stojanov: Das versuchen wir zu tun.
In Lkws werden Personen geschmuggelt
Nach dieser Antwort beendet der Grenzbeamte das Gespräch mit uns. Dabei bestätigt selbst der Chef der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Hans Leijtens, die Vorwürfe. Als er zur bulgarisch-türkischen Grenze reiste, hatte er zuvor mit der bulgarischen Regierung gesprochen. "Der Minister hat mir gegenüber versichert, dass die Regierung ihr Bestes tun wird, um solches Fehlverhalten in der Zukunft zu verhindern. Das ist wichtig, den wir schützen nicht nur die Grenzen, sondern auch europäische Werte." Ein Dementi klingt anders.
Auch in Lkws werden Personen geschmuggelt. Es verstecken sich immer wieder Menschen in Kleintransportern oder in der Ladung. Mit einem Messgerät messen die Beamten den Co2-Gehalt im Inneren des Lkw. "Bis zum Wert von 65 ist alles okay. Wenn es über 65 ist, dann werden die Lkw aufgemacht und geprüft, ob da drinnen Menschen sind", sagt Kostodin Angelov. Die Grenzer finden so tatsächlich Menschen. Diese trugen eine FFP2-Maske, damit das Messgerät nicht anschlägt. Aber der Wert war trotzdem zu hoch. Es sind die kleinsten Stauräume, in die Menschen sich quetschen. Ins seitliche Gepäckfach oder unter die Sitzbank des Fahrers. Wie der bulgarische Grenzschutz sie behandelte, wissen wir nicht.
Die Grenze schützen und gleichzeitig europäische Werte achten, scheint immer schwerer zu werden. Diese Grenzzone der EU ist eine Grauzone.
Autorinnen: Isabel Schayani/Mareike Wilms
Stand: 02.06.2024 20:20 Uhr
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