So., 02.06.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Frankreich – Europawahl: Rechter Polit-Star und sozialistische Wiederauferstehung
Hugo Garbe ist motiviert. Der 21-Jährige ist bei einer Wahlkampfveranstaltung für den Rassemblement National im Einsatz. "Es ist viel los. Wir erwarten 4.215 Personen. Jetzt sind schon mehr als 700 da. Und es erst kurz nach 18 Uhr." Hénin-Beaumont im Norden gilt als Hochburg der Partei. Heute sind viele junge Menschen gekommen. Bei ihnen ist der Rassemblement National besonders beliebt. Wie bei den meisten Veranstaltungen der Partei ist es rappelvoll.
Hugo will möglichst nah dran sein. Bis vor einem Jahr hat der Jura-Student noch die Partei von Präsident Macron unterstützt. Vom Rassemblement National hat ihn auch der junge Parteichef Jordan Bardella überzeugt. Auf das Selfie mit ihm ist er besonders stolz. "Er kommt aus der Vorstadt in Seine-Saint-Denis. Er ist kein Politiker mit reichen Eltern, aus einer abgehobenen Familie, abseits der Realität."
Bardella hat Rechtsaußen-Partei ein junges, modernes Image verpasst
Es wirkt eher wie ein Pop-Konzert als eine Wahlkampfveranstaltung. Und dann kommt er. Jordan Bardella, 28 Jahre alt. Zum zweiten Mal Spitzenkandidat für die Europawahl. Von seinen Fans gefeiert wie ein Superstar. "Mit uns gibt es Sozialhilfe und Unterstützung nur noch für französische Familien", sagt er. Markige Sprüche. EU-Kritisch, nationalistisch, wenig Konkretes. Kaufkraft und unkontrollierte Migration sind seine Lieblingsthemen. Das kommt an bei den Franzosen. So gut wie jetzt, waren die Umfragen für seine Partei noch nie. "Eine Abstimmung für die Identität Frankreichs, gegen die Überflutung mit Migranten. Eine Abstimmung für Kaufkraft, gegen Inflation. Eine Abstimmung, damit Frankreich lebt – und gegen die, die wollen, dass es verschwindet", sagt Jordan Bardella.
Bardella hat der Rechtsaußen-Partei ein junges, modernes Image verpasst. Dass er aus einer Einwanderer-Familie aus der Vorstadt kommt, hat deutlich dazu beigetragen, den Rassemblement National von seinem rechtsextremen Image zu befreien. Hugo ist ein absoluter Bardella-Fan. Gerade junge Menschen fühlen sich von ihm angesprochen, auch dank seiner Präsenz in den sozialen Medien. "Meist sind es Ausschnitte seiner Auftritte, aber das geht total ab. Junge Menschen nutzen keine traditionellen Medien mehr. Aber so kriegt jeder mit, was er in Interviews sagt", sagt Hugo. Allein auf Tiktok folgen Bardella 1,3 Millionen Menschen.
Sozialist Glucksmann setzt auf rein europäische Themen
Der Zenith in Paris, normalerweise finden hier große Rockkonzerte statt. Auch heute sind 4.000 Besucher da – für die größte Überraschung dieses Wahlkampfs. Raphaël Glucksmann, der Spitzenkandidat der Sozialisten. Glucksmann sitzt im Europaparlament, aber vor allem ist er ein prominenter Autor – auch er mit Popstar-Faktor. "Unsere Stärke in Europa wird ökologisch, demokratisch und solidarisch sein. Und menschlich", sagt Glucksmann.
Er setzt auf rein europäische Themen. Davon hatten ihm vorher alle abgeraten. "Wir werden Europa aufwecken." Jetzt hat Glucksmann Chancen auf Platz zwei bei der Europawahl, noch vor dem Lager von Präsident Macron. Und das als Kandidat einer Partei, die bis vor Kurzem totgeglaubt war. "Das ist wirklich ein Mann mit Überzeugungen. Ich teile seine Werte eines gestärkten, sozialen Europas, das die Umwelt im Blick hat", sagt Constance Capdenat. Hadrian Briot fügt hinzu: "Für mich sind seine Vorstellungen von finanzieller Gerechtigkeit wichtig. Das ist doch das Ende der Demokratie, wenn Firmen gar keine Steuern zahlen."
Wir treffen Glucksmann auf einem Food-Market im Norden von Paris. Er wirkt fast schüchtern. Ganz anders als die meisten anderen Politiker in Frankreich. Ein Intellektueller, mit sehr konkreten Vorschlägen. Glucksmann spricht von einer ökologischen Revolution. Und davon, Europa politisch und finanziell zu stärken: "Wir wollen Multimillionäre und Milliardäre auf dem europäischen Kontinent an der Finanzierung der ökologischen Wende beteiligen. Wir wollen mehr in Europa zusammenarbeiten. Und gemeinsame Steuern für Reiche und multinationale Firmen." Und so punktet Glucksmann nicht nur bei denen, die von der extremeren Linken enttäuscht sind. Sondern auch bei denen, die mit Emmanuel Macrons Außen- und Rentenpolitik unzufrieden sind.
Zurück zur Wahlkampf-Veranstaltung des Rassemblement National nach Hénin-Beaumont: Jura-Student Hugo ist geradezu euphorisch von Jordan Bardella. "Wir können uns wirklich mit ihm identifizieren. Politiker wie Bardella gibt es viel zu wenige. Ich bin mir sicher. Er wird Geschichte schreiben." Bardella holt Hugo und seine Gruppe sogar auf die Bühne. Die Halle kocht. Wie bei einem Popstar eben. Nur dass sie rufen: "Wir werden gewinnen."
Autorin: Friederike Hofmann, ARD-Studio Paris
Stand: 02.06.2024 20:20 Uhr
Kommentare