So., 02.06.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Mexiko: Wahl im Zeichen von Gewalt
Rosalba Ramirez kann keinen Schritt ohne die Nationalgarde tun. Beamte bewachen sie rund um die Uhr. Dabei will die 36-Jährige von der Partei Morena nur Bürgermeisterin werden. In Mexikos Bundesstaat Guerrero ein tödlicher Job. "Sie die ganze Zeit zu sehen, erinnert mich daran, dass wir in Gefahr sind." Rosalba führt uns zu dieser Stelle im Dorf. Am 6. Februar, beim Abendessen, ermordeten Killer hier ihren Vater. Elf Schüsse, zwei in den Kopf. Er flüchtete, brach zusammen, wo jetzt das Kreuz steht. Der Mord an ihm, eine Nachricht an sie, sagt Rosalba. Sie solle nicht kandidieren. "Ich fühle mich ohnmächtig, wütend, traurig natürlich. Es ist traurig zu wissen, dass das wahrscheinlich ein paar junge Männer waren, vielleicht Drogenabhängige, die vom organisierten Verbrechen beauftragt wurden." Ihr Vater hatte sie immer unterstützt, in ihrem Dorf gründete er die Links-Partei Morena. Sein Tod, ein Beispiel von Dutzenden.
Wahlkampf: Über 30 ermordete Kommunalpolitiker
Die Gewalt – sie eskaliert in diesem Wahlkampf. Mehr als 30 ermordete Kommunalpolitiker. Einige, weil sie nicht mit Kriminellen paktieren wollen. Andere hängen selbst drin, im Konflikt verfeindeter Gruppen. Guerrero, wo Rosalba Ramirez kandidiert, gilt als gefährlichste Region. Anzeige erstatten, das bringe hier nichts, sagt ihr Bruder. Kriminelle hätten den Staat im Würgegriff. "Du kannst einfach nichts dagegen machen. Um was zu erreichen, musst du wie sie werden: kriminell. Es ist sehr einfach, einen Menschen in Mexiko umzubringen. Es passiert nichts", sagt Salvador Ramirez.
Rosalba hat sich geschworen, nicht aufzugeben. Wahlkampf in einem der Dörfer. Sie kandidiert für Morena – wie Claudia Sheinbaum, die beste Chancen hat, Präsidentin zu werden. Dass ihre eigene Partei zu wenig tut gegen die Gewalt, bestreitet Rosalba. Und ihre Anhänger sind überzeugt, dass sie die Probleme hier lösen kann: „In unserem Dorf laufen die Gangster auf der Straße rum, als sei nichts geschehen. Wir wissen, wer die sind. Aber du kannst nichts machen", sagt Mary. Dass Rosalba tapfer Hände schüttelt ist ein Risiko, jeder Auftritt gefährlich. Jede Rede, vermutlich unter Beobachtung. Ihre Anhänger lärmen, wie um sich selbst Mut zu machen. Einheimische kommen nur wenige. Viele fürchten sich vor großen Veranstaltungen. "Die Lage hier im Dorf ist kompliziert. Es gibt Gruppen rund um die Gegen-Kandidaten, die die Leute unter Druck setzen. Dass sie nicht hierher kommen sollen, um andere Kandidaten anzuschauen. Aber die Leute haben uns überrascht, es sind doch ein paar gekommen", sagt Rosalba. Die Kriminellen, sagt sie, setzten oft Kandidaten ein, oder schalteten sie aus. So funktioniere es eben in Guerrero.
Hoffen auf eine Frau als Regierungschefin
Sicherheit, Korruption – Themen, die Claudia Sheinbaum als neue Präsidentin anpacken müsste. Die ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, und Kandidatin der Linkspartei Morena will weitgehend der Linie ihres Vorgängers Lopez Obrador folgen. Doch dessen Plan, den Kriminellen mit Sozialprojekten die Basis zu entziehen, scheiterte. Das Oppositionsbündnis, für das Xochitl Galvez ins Rennen geht, verspricht deshalb harte Strafen, null Toleranz. "Schluss mit den Umarmungen für Kriminelle", ruft sie. Doch Parteien, die die rechtsgerichtete Galvez unterstüzen, gelten selbst als korrupt. Unter konservativen Regierungen gewannen die Kartelle an Macht.
Dass erstmals eine Frau regieren wird, lässt dennoch viele hoffen: Darauf, dass eine Präsidentin die grassierende Gewalt, auch gegen Frauen, stärker bekämpfen wird. In Guerrero, bei Anwältin Neil Arias stapeln sich die Fälle. 19 Femizide untersucht sie derzeit, heute kommt eine misshandelte Frau. Gewalt sei tief verwurzelt in der Gesellschaft. Was helfen würde: mehr Geld, mehr Polizisten und Verständnis für ihren Alltag: "Das Problem ist, dass die auf Bundesebene ihre Konzepte hinter einem Schreibtisch entwerfen. Die harte Realität, die wir hier leben, die ist was ganz anderes. Vom Schreibtisch aus können die Politiker immer viel versprechen."
Rosalba Ramirez will im Kleinen anfangen. So wie ihr Vater geraten hatte: Keine Verhandlungen mit dem organisierten Verbrechen, keine Pakte. In Guerrero ein hohes Risiko, das sie und ihr Vater kannten. "Klar, wir haben große Angst. Aber wir haben auch eine große Verantwortung. Wenn wir nichts machen, verlieren wir auch das Recht, uns zu beschweren." Also macht sie weiter, schüttelt diszipliniert Hände. Gewinnt sie die Wahl, bleibt die Nationalgarde in den nächsten Jahren ihr Begleiter. Verliert sie, will Rosalba das Dorf verlassen. Dann gebe es keine Zukunft hier, für sie und ihre Familie.
Autorin: Marie-Kristin Böse, ARD-Studio Mexiko-Stadt
Stand: 02.06.2024 20:21 Uhr
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