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China: Hundehochzeiten

China: Hundehochzeiten | Bild: NDR

In einem kirchenähnlichen Gebäude im Osten Chinas findet eine weltliche Trauung statt. Die in weißen Zwirn gekleidete Braut wartet draußen. Trotz bevorstehender Eheschließung in wenigen Minuten folgt ihr Blick anderen Geschöpfen. Drinnen wird der Bräutigam gefragt, ob er denn glücklich sei an diesem großen Tag heute. Seine Reaktion wahrlich schwer zu deuten. Und dann kommt sie: Geführt von Herrchen und Frauchen, die sind spürbar stolz auf ihr Kind, wie sie es nennen. Die beiden Golden Retriever haben vermutlich keine Ahnung, worum es hier gerade geht. Aber eine illustre Gästerunde bezeugt das Ganze. Seid ihr bereit, einander zu heiraten? Wenn ja, dann schön fressi, fressi. Erst das Fressi, dann kommt der Rest von allein, vielleicht. Die drei wünschen auf jeden Fall "lebenslange Liebe". Die gemeinerweise wiederum mit einem nicht fressbaren Ring gekrönt wird. Die Hochzeit ist organsiert und auch bezahlt von einer Agentur, die sich auf solche Haustier-Events spezialisiert hat. Ein bisschen Werbung für künftige ehewillige Vierbeiner.

Die Brautpaar-Eltern haben die beiden verkuppelt. Sie meinen es ernst: "Ich glaube, die Hündin "Bobby" mag meinen Hund sehr gern. Es heißt bei uns: Wenn der Mann drei Jahre älter ist als die Frau, dann wird sie reich sein. Ein Grund für die Anziehung ist also auch die Sicherheit und Stabilität, die mein Hund bietet. Ich mag Kinder nicht so sehr, aber ich merke wie sehr ich "Bobby" brauche und sie mich. Wahrscheinlich ist sie für mich wesentlicher als eine eigene Familie." Die Torte ist für die tierischen Gäste. Nicht etwa für die Hundeeltern. Kuchen, Accessoires, ach sämtliche Artikel. Es ist eine lukrative Industrie entstanden.

Trend in China: Vermenschlichung von Haustieren

Hund eines kleinen weißen Hundes in Nahaufnahme
Ein Hund gegen soziale Vereinsamung.  | Bild: NDR

Mode für alle Hundearten. Schnell noch das Pullöverchen anziehen, ehe sich Tess Guo vom zweijährigen "Lucky" verabschiedet. Sie ist 31, lebt in Peking allein, beziehungsweise mit ihrem Hund."„Packe noch die Decke ein, wenn er im Kindergarten Mittagsschlaf macht." Ein exquisiter Fahrservice zum Kindergarten, als würde sich ganze Welt nur um ihn drehen. Ein Fahrer hat ihn abgeholt.

Wir sind einem neuen Trend auf der Spur: Der Vermenschlichung von Haustieren. In diesem Kindergarten kostet ein Tag etwa 15 Euro, Fahrtkosten extra. Eine Spa-Behandlung wie etwa Baden und Styling gibt es auch und jede Menge Sachen für die besonderen Haustiere. Die viel mehr verkörpern als nur den "geliebten Begleiter". Was hat es auf sich mit dieser außergewöhnlichen Beziehung zu Haustieren? Die letztlich schon auch in ihrem eigenen Hunde-Kosmos leben.

Abends wird "Lucky" wieder abgesetzt, bei seiner Mutter. "Wenn Du so aus dem Mund riechst, dann will doch niemand mit Dir spielen", sagt Tess zu ihrem Hund. Tägliches Pflegeritual: Zähneputzen. Schließlich soll er glänzen. Tess hat einen herausfordernden Job, wenig Freizeit und das Leben in der Pekinger Großstadt ist teuer: "Ich habe immer das Gefühl, die Verantwortung ein Kind großzuziehen ist zu groß und ich kann sie nicht tragen. Aber bei einem Hund ist es viel einfacher. Er ist eigentlich auch wie ein Baby. Er bringt mich dazu, ihm lauter Gutes geben zu wollen."

Die Probleme der früheren Ein-Kind-Politik

So wie Tess geht es vielen: Nicht unbedingt heiraten wollen, Kinder kein dringender Wunsch. Das ist ein globales Phänomen, aber was hat es in China damit auf sich? In den chinesischen Social-media-Kanälen gibt es sehr viele Videos von Hunden, deren Geburtstag gefeiert wird. Haustiere – der Mittelpunkt des Lebens. Das Leben junger Menschen in chinesischen Großstädten ist voller Druck: teure Mieten, wenig gute Jobs. Die Geburtenrate ist gering, die Bevölkerungszahl rückläufig. Was an Problemen auf China zurollt wegen der Ein-Kind-Politik, die heute nicht mehr gilt – das hat der chinesisch-stämmige Geburtenforscher Yi Fuxian von der US-Universität Wisconsin in seinem Bestseller "Großes Land, leeres Nest" schon vor Jahren beschrieben: "In chinesischen Familien gibt es heute meistens nur ein Kind. Die Eltern stecken alle Hoffnungen in dieses eine Kind. Und die Kinder konzentrieren sich auf das Lernen. Sie haben keine Zeit, sich um zwischenmenschliche Beziehungen zu kümmern. Nachdem sie geheiratet haben, stellen sie fest, wie kompliziert Beziehungen sind. Haustiere können dann eine Alternative sein."

Für Tess, die auch Einzelkind ist, ist es die eigene Entscheidungsfreiheit, die ihr wichtig ist. Und "Lucky" nimmt ihr die Einsamkeit. Sie will für ihn sorgen wie für ein Kind. Und der soll auch öfters für die Kamera posieren. Ihr Social-Media-Kanal ist voll mit Fotos von "Lucky". Auch ihre Mutter hat sich offenbar schon eingestellt, auf Tess‘ Welt: "Wenn ich mit ihr über Video telefoniere, dann will sie gar nicht mehr so viel mit mir reden. Sie spricht mit ihm. Sie will wissen, ob ich gut auf das Kind aufpasse."
Tess liebt es Kleidung und Accessoires für "Lucky" einzukaufen. Schließlich soll er ja gut aussehen. Denn, man weiß ja nie, wenn man so trifft und wohin das so führt.

Autorin: Marie von Mallinckrodt, ARD Studio Peking

Stand: 13.04.2025 20:13 Uhr

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