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USA: Resozialisierung in der Küche

USA: Resozialisierung in der Küche | Bild: NDR

Es ist laut, stressig, heiß. Hunderte Gerichte müssen raus. Restaurantküchen-Alltag. Doch für die, die hier bei "Edwins" arbeiten, sah der Alltag lange ganz anders aus. Auch für Kisha Norman: "Ohne dieses Programm bei 'Edwins' wüsste ich nicht, wo ich jetzt wäre. Ich würde wohl in irgendeiner Ecke Drogen verkaufen, oder selbst High sein. Vermutlich wäre ich wieder im Knast." Mehrfach saß Kisha im Gefängnis, wie fast alle hier. Vor allem wegen Drogenhandels, auch wegen Gewalt. Jetzt absolviert sie eine sechsmonatige Ausbildung in "Edwins" Restaurant in Cleveland, Ohio.
Auch Lee Andrew Ealom saß wegen Drogenhandels, auch er bekommt hier die Chance auf ein Leben ohne Kriminalität: “Das Wichtigste ist: hier wirst du als Mensch wertgeschätzt. Für deinen Einsatz. Das ist großartig.“

"Unterschätze nie, was Menschen leisten können"

Er hat das Restaurant mit Rehabilitationsprogramm vor zwölf Jahren eröffnet: Brandon Chrostowski. Alle zwei Monate lernt er eine neue Gruppe von Ex-Häftlinge an, beginnt mit ihnen immer wieder von vorn – und dennoch läuft der Laden. "Unterschätze nie, was Menschen leisten können, wenn man ihnen eine Chance gibt", sagt Brandon Chrostowski. Auch er kommt aus schwierigen Verhältnissen; gerät als Jugendlicher selbst immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, landet in Untersuchungshaft. Aber: Brandon bekommt die Kurve, wird Koch in teuren Restaurants in New York und Paris. "Da war irgendwann dieser Konflikt: Ich arbeitete in großartigen Restaurants mit 200.000-Dollar-Öfen, wo wir Weine für 10.000 Dollar die Flasche verkauften. Und zu Hause wurde ein Freund von mir erschossen. Ich hab diesen Widerspruch nicht mehr ausgehalten. Ich musste etwas anders machen, etwas zurückgeben."

Auch im "Edwins" servieren sie unter anderem gehobene Küche. Cleveland gehört zu den ärmsten Städte der USA, aber das Publikum für Bouillabaisse oder Kalbs-Kotelett für 50 Dollar gibt es – ohne Reservierung bekommt man hier keinen Tisch. Die Ex-Häftlinge werden drei Monate im Service ausgebildet, drei Monate in der Küche. Brandon sagt, er könne sich keine besseren Angestellten wünschen. "Wenn du weggeworfen wirst, quasi entsorgt, dir niemand eine Chance gibt – das tut unfassbar weh – und dann willst du nur noch härter arbeiten, um dich zu beweisen." Und "Edwins" bietet mehr: neben einer Bäckerei und Metzgerei auch günstigen Wohnraum und kostenlose Kinderbetreuung. Alles, damit sich die Teilnehmer ganz auf den Job konzentrieren können.

Kochkurse in der Gefängnisküche

Ein Frau arbeitet in der Küche.
Im "Edwins" servieren sie unter anderem gehobene Küche. | Bild: NDR

Aber vor allem setzt Brandon mit seinem Programm bereits hier an: im Gefängnis. Mehr als 600.000 Menschen werden jedes Jahr aus amerikanischen Haftanstalten entlassen. Zweidrittel von ihnen werden wieder straffällig – das erste Jahr ist das heikelste. Jeden Samstag gibt Brandon hier, in der Gefängnisküche, Kochkurse. Brandon erzählt: "Man darf hier noch nicht mal Plastik-Messer haben –wir bringen richtig scharfe Messer mit. Daher haben wir spezielle Messer entwickelt, die an den Tisch angekettet werden. Ein Wärter bringt die in einem Koffer rein – und dann geht es los." Mittlerweile gibt es von "Edwins" auch eine App mit Videos und Tests. So können Häftlinge noch im Gefängnis die Küchen-Theorie lernen – und das nicht nur hier in Ohio, sondern in nahezu allen US-Bundesstaaten. Jerry Spatny, Gefängnis-Leiter Grafton Correctional Institution, ist von dem Projekt überzeugt: "Man kann den Erfolg messen. Ich habe keine Statistiken, aber ich kann Ihnen sagen: Wenn sie hier durchgehen, bemerken Sie den Unterschied. Wir haben weniger Gewalt, Wärter müssen seltener eingreifen; Dinge verändern sich zum Besseren."

Für Kisha hat sich alles zum Besseren gewendet. Sie erhält heute ihre Abschlussurkunde. Längst nicht alle, die das Programm starten, ziehen bis zum Schluss durch. Aber bei denen, die erfolgreich abschließen, liege die Rückfallquote bei unter zwei Prozent, sagt Brandon. Im Vergleich zu fast 45 Prozent landesweit. Auch Kisha will nicht wieder ins Gefängnis; will da sein für ihre Enkelkinder. "Ich bin mehr als stolz! Ich war immer stolz auf meine Kochkünste, aber jetzt koche ich nicht mehr, jetzt mache ich Kunst. Ich habe einen Tagesrhythmus. Ich stehe auf hierfür und gehe zu Bett hierfür. Mein ganzes Leben hat sich verändert durch dieses Programm."

Lee und Kisha dürfen beide erst einmal bleiben, auch nach der Ausbildung bei "Edwins" weiterarbeiten. Für sie ist Brandons Team zur Familie geworden.

Autorin: Kerstin Klein, ARD Studio Washington

Stand: 13.04.2025 20:13 Uhr

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