So., 26.04.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Italien: Hoffnung im Epizentrum
"Das Virus, das sich gerade in der Welt verbreitet, war in mich hineingeschlichen, hinterhältig, unsichtbar und blutrünstig. Wilder als ein Tier in der Savanne, giftiger als eine Schlange der Wüste, leiser als ein Dieb in der Nacht", so Flavio Moro, Rentner.
Schlaflose Nächte wegen Covid19
Flavio Moro hat Covid19, lag auf Intensivstation, wurde entlassen, als er noch nicht wieder ganz gesund war. Jetzt lebt er seit drei Wochen in Quarantäne zu Hause, isoliert, alleine. Dabei hat er seine Gedanken aufgeschrieben: "Ich habe Zeit, mich an meine Freunde zu erinnern, die ich verloren habe." Es sind viele. Und Moro erzählt, wie er ihre Bilder nachts vor Augen hat, wenn er nicht schlafen kann.
Als der Priester Davide Rota an Covid19 erkrankte, hatte er damit seinen Mitbewohnern schlaflose Nächte beschert. Don Davide verteilt Essen an Arme in Bergamo und er lebt mit 320 Menschen – Migranten und armen Italienern zusammen. Ohne den Priester läuft in diesem Zentrum nichts.
"Sie haben etwas Witziges gemacht: Sie haben Geld gesammelt und nach Afrika geschickt, zu einem Vodoo Priester, damit der mich mit Riten heilen sollte. Und da ich wieder gesund wurde, glauben jetzt einige, dass es funktioniert habe. Okay, wenn sie meinen", sagt Don Davide Rota, Priester.
In den schlimmsten Corona-Tagen von Bergamo war das Zentrum geschlossen. Niemand rein, keiner raus. Die Warteliste – weitere 300 Menschen, die um Aufnahme, um Hilfe bitten – wurde länger und länger.
Langsam schöpfen die Menschen Hoffnung
In der Schreinerei von Ferruccio Agazzi gab es keinen bestätigten Fall von Covid19. Aber einige Kollegen, die Fieber hatten, gab es schon. Jetzt dürfen sie wieder arbeiten, versuchen, sich langsam zurechtzufinden. Die Regierung diktiert strenge Sicherheitsvorkehrungen. Verständlich, sagt Agazzi. Doch, wie so oft in Italien, sind solche Regeln hoch kompliziert.
"Wir haben versucht zu kapieren, unter welchen Auflagen man den Betrieb wieder aufmachen kann. Vor allem Schutzausrüstungen, Masken findest du keine, Handschuhe auch nicht. Oder du findest sie und weißt nicht, ob sie richtig sind oder nicht. Woher sie kommen. Denn es gibt ja eine Menge Betrügereien. Manche spekulieren mit der Tragödie", sagt Ferruccio Agazzi, Schreiner.
Agazzi fragt sich, wie das alles in Italien weitergehen soll. Corona hat das Land nicht nur gesundheitlich in die Knie gezwungen, auch wirtschaftlich. Bergamo liegt im Herzen der Lombardei. Die 120.000 Einwohner Stadt gilt als die am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffene im bel paese. Deshalb nennen manche sie das italienische Wuhan. Ganz langsam schöpfen die Menschen hier wieder Hoffnung.
Jeden Tag besser leben
Flavio Moros Familie war über Tage in Angst und Schrecken. Damals, als der Gatte und Vater Fieber bekam und Atemnot. Doch jetzt geht es bergauf, nächste Woche wird er wieder getestet und bis dahin heißt es – ein Ehepaar lebt auf Distanz. "So, mit diesem Abstand unterhalten wir uns dann", sagt Margherita Paganessi. "Sie lächelt mir zu. Ich kann das an ihren Augen erkennen. Ich sehne mich nach ihrer Umarmung, einer Liebkosung, auch nur einem kleinen, vorsichtigen Kuss", erzählt Flavio Moro.
Alles wird gut, sagt seine Frau optimistisch: tutto andrà bene. Das italienische Mantra in diesen Wochen. Davon ist auch Don Davide überzeugt. Aber das, was in Bergamo passiert ist, Militärfahrzeuge, die Särge abtransportiert haben, das wird seine Heimatstadt verändern. Ihn sowieso.
"Was ich gelernt habe? Jeden Tag besser zu leben. Mit der Begeisterung, als wäre es der Erste und derselben Verantwortung, als wäre es der letzte Tag", so Don Davide Rota. Das unsichtbare Virus habe ihm gezeigt, dass sein Leben von jetzt auf gleich vorbei sein kann.
Wiedergeboren nach der Krankheit
Ferruccio Agazzi hat auch immer noch Angst. Nicht um sich, sondern auch um die Zukunft seines Betriebes. Viele Unternehmer siund auf Hilfe vom Staat angewiesen, und zwar schnell. Wenn die Unterstützung erst im Juli komme, seien viele längst pleite. "Ich hoffe auf die Institutionen. Aber wenn die Zeiten und Modalitäten der Bürokratie die sind, die wir in Italien kennen, dann wird und das nicht helfen. Sie müssen jetzt ganz andere Entscheidungen treffen als die, die wir gewohnt sind. In der Hoffnung, dass das nicht die üblichen italienischen Betrügereien sind. Die schaden allen", sagt Ferruccio Agazzi.
Agazzi ist überzeugter Europäer, deshalb will auch er optimistisch bleiben, dass auch die Gemeinschaft füreinander da ist, gerade in diesen Zeiten. Sonst habe die EU gar keinen Sinn mehr.
Flavio Moro ist wiedergeboren, wie er selbst sagt. Dass er gerade nicht mit seiner Familie zusammen sein darf, erträgt er geduldig. Er und seine Liebsten haben nur ein Ziel: Flavio soll wieder gesund werden. So bleibt er wie jeden Tag alleine zurück.
"In der Zwischenzeit warte ich wie einer von vielen. Einer der vielen, die ein großes Stück Glück auf ihre Waagschale gelegt haben", so Flavio Moro.
Autorin: Ellen Trapp /ARD Studio Rom
Stand: 27.04.2020 13:35 Uhr
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