So., 26.04.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Frankreich: Lebensmittel und mehr – Frankreich first?
"Das hier kommt aus der Gegend von Perpignan. Das sind Sorten, die man sehr selten findet...Das ist wirklich eine Delikatesse, das schmeckt super! Und dann hier der Spargel. Großartig! Aus der Touraine, ganz natürlich. 200 Kilometer von Paris entfernt, vor allem ohne Pestizide", erzählt Amandine Chaignot, Chefköchin.
Ein Restaurant als Lebensmittelladen
Eigentlich ist das Pouliche ein Restaurant, mitten in Paris. Jetzt funktioniert es als Lebensmittelladen mit regionalen Produkten. Und die Leute aus dem Quartier stehen Schlange bei Amandine Chagniot, die normalerweise als eine der bekanntesten Pariser Spitzenköchinnen ihr Geld verdient. "Ich dachte: Da ist das Angebot, hier ist die Nachfrage und ich bringe die beiden einfach zusammen. Außerdem habe ich ein Restaurant, das geschlossen ist. Ich habe mit den Keksen angefangen, dann habe ich den Typen mit den Confits gefunden und Stück für Stück ist das mehr geworden. Anfangs hatte ich nur morgens auf, jetzt den ganzen Tag", Amandine Chaignot.
Ihre Kunden finden es gut, dass sie hier lokale, französische Produkte bekommen. "Unsere Lebensmittelkette ist doch absurd. Wir kaufen Produkte, die von weit her kommen und nicht mal unbedingt die besten sind, anstatt die lokalen Hersteller zu unterstützen, die tolle Produkte direkt bei uns herstellen", so Célia Corsa, Kundin.
Neue Lieferung. Amandine packt selbst mit an. Laurent Berrurier kommt zweimal pro Woche nach Paris und bringt seine Ware persönlich, frisch vom Feld. Normalerweise beliefert er nur Restaurants, wie das von Amandine. Jetzt in der Krise ist alles anders.
"Das ist genial. Amandine ist die einzige Chefköchin mit der ich arbeite, die diese Idee hatte", erzählt Laurent Berrurier, Gemüseproduzent. Hier ist Laurent in seinem Element: Gemüse, Salat, Kräuter. Alles aus natürlichem Anbau, 50 Kilometer von Paris entfernt.
Zwingt die Corona-Krise zum Umsteuern?
Spargelsaison: Laurents anspruchsvolle Kundschaft schätzt seine Ware und ist bereit, entsprechend dafür zu bezahlen. Doch das ist nicht selbstverständlich. "Es gibt viele Betriebe, die schließen müssen, weil sie von ihrer Arbeit nicht leben können und die Kosten zu hoch sind. Ich hoffe, dass wir das ändern können. Offenbar brauchen wir eine solche Corona-Krise, um uns das klarzumachen", sagt Laurent Berrurier.
Zwingt die Corona-Krise zum Umsteuern? Präsident Macron ist davon überzeugt. Er setzt auf heimische Produktion. Vor ein paar Tagen war er bei Landwirten in der Bretagne. Er fordert: Nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa muss wichtige Produktionszweige renationalisieren, also: Zurückholen aus Asien und Übersee. Eine bittere Lehre aus den Engpässen, etwa bei Masken und Medikamenten, in der Gesundheitskrise.
Emmanuel Macron: "Diese Krise lehrt uns, dass es bei manchen Gütern, Produkten, Materialien, strategisch wichtig ist, dass Europa unabhängig ist."
Wie sieht die Wirtschaft nach der Corona-Krise aus?
Geht das überhaupt? Auf den Champs Elysée ist es ruhig in diesen Tagen. Anne-Sophie Alsif ist Wirtschaftswissenschaftlerin in Paris. Sie hat sich mit Macrons Idee beschäftigt und gibt zu bedenken. "Frankreich und Deutschland können nicht alle Produkte selbst produzieren. Das ist auch gar nicht in ihrem Interesse. Man muss sich fragen, in welchen Bereichen das sinnvoll ist, um in der Krise unabhängig zu bleiben. Aber man sollte auch nicht zum Globalisierungsgegner werden. Denn durch sie haben wir einen kostengünstigen Zugang zu enorm vielen Produkten", erzählt Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin BDO Advisory.
Wie soll die Wirtschaft nach der Corona-Krise aussehen? Grün! Sagt Pascal Canfin. Er ist Mitglied des Europaparlaments und hat eine vielversprechende Initiative angestoßen: Er fordert den Umbau zu einer klimafreundlichen Wirtschaft, den Umbau der Lebensmittelindustrie. Für mehr Jobs und Wachstum nach Corona. 200 Politiker, Gewerkschafter, sogar Großunternehmen wie Coca Cola, Ikea und E.on unterstützen das.
Voller Ungeduld auf die Öffnung des Restaurants warten
"Wir müssen unsere Energie bündeln, denn dieses Mal müssen wir besser sein als vor zehn Jahren in der großen Finanzkrise. Mit einer nachhaltigen, effizienten Strategie können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: ökonomisch und zugleich ökologisch erfolgreich sein", so Pascal Canfin, MdEP. Genau das ist auch Amandines Konzept: Alles, was sie hier verkauft, ist regional und ökologisch produziert. Das hat natürlich seinen Preis. Jetzt, in der Krise, sind die Lebensmittel bis zu 12 Prozent teurer geworden. Amandines Kunden fragen durchaus nach dem Preis. Allerdings: Franzosen sind grundsätzlich bereit, mehr für gutes Essen auszugeben als zum Beispiel Deutsche. Als Chefköchin verarbeitet Amandine in ihrer Küche überhaupt nur lokale und ökologische Produkte. Wird die Corona-Krise die Essgewohnheiten verändern?
"Wir haben doch bisher alles vermischt: Wir haben Spargel aus Peru und Schweinfleisch voller Hormone aus China gegessen. Ich denke, einige werden sicher ihr Verhalten ändern, aber wird das eine Mehrheit sein? Ich weiß es nicht", sagt Amandine Chaignot.
Aber eines weiß sie genau: Dass sie voll Ungeduld darauf wartet, ihr Restaurant wieder zu eröffnen.
Autorin: Sabine Rau/ARD Studio Paris
Stand: 27.04.2020 13:35 Uhr
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