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Japan: Neue Verteidigungsstrategie – Wo sind die Rekruten?

Japan: Neue Verteidigungsstrategie – Wo sind die Rekruten? | Bild: NDR

Die veränderte globale Sicherheitslage hat in Japan zu einer neuen Verteidigungsstrategie geführt: Mit 320 Milliarden US-Dollar will Japan seine Armee in den nächsten Jahren modernisieren und ausbauen. Vor allem den Provokationen aus Nordkorea und den Drohungen aus China möchte die Regierung in Tokio militärische Stärke entgegensetzen. Mit der neuen Sicherheitsstrategie will Japan bei einem Angriff auch zurückschlagen können. Doch es fehlen die Soldaten! Interesse an einer Karriere in der japanischen Armee haben nur wenige.

Batra, angetreten! Er heißt eigentlich Mizuho Kobayashi. Im Netz hat sich der Videoblogger einen schmissigeren Namen zugelegt. Er spricht Passanten an. Der 31-Jährige hat bei den japanischen Streitkräften gedient, den "Selbstverteidigungskräften", wie sie offiziell heißen. Er fühlt sich dem Militär immer noch verbunden. Unter jungen Erwachsenen rührt er freiwillig die Werbetrommel. Würdest Du zu den Selbstverteidigungskräften gehen?, steht auf Batras Tafel. Und Batra fragt Jugendliche: "Was hast Du denn gehört, wie es da so ist?". Ein Junge sagt: "Da herrscht so viel Disziplin. Ich bin einfach kein Morgenmensch. Ich will nicht immer so früh aufstehen." Batra: "Ach so, weil es immer früh losgeht.". Ein anderer Junge sagt: "Das ist anstrengend. Die müssen sogar raus, wenn es schneit, im Zelt schlafen und so." Und ein weiterer Junge erklärt: "Das Training bei denen ist voll hart!"

Nur selten fühlen sich Jugendliche angesprochen. "Die jungen Leute wissen häufig nicht viel über die Selbstverteidigungskräfte. Das Thema ist ihnen eigentlich egal. Ihre Einstellung dazu ist weder positiv noch negativ", sagt Mizuho Kobayashi.

Vor allem bei den Bodentruppen fehlen Soldaten

Mann spricht in eine Handykamera.
Batra rührt freiwillig die Werbetrommel für den Militärdienst. | Bild: NDR

Parade im Hauptquartier der ersten Division der Bodentruppen in Tokio: Beim Rekrutengelöbnis sind die Reihen übersichtlich. Vor allem bei den Bodentruppen fehlen Soldaten. Beim Tag der offenen Tür werben die japanischen Streitkräfte um den Nachwuchs. Gekommen sind aber vor allem Angehörige von denen, die sich schon verpflichtet haben. Mit gezielter Ansprache soll die desinteressierte Jugend Japans umgestimmt werden.

Wer einen Helm probeweise aufsetzt, wie der Schüler Makoto Nagatani, wird schnell zum Perspektivgespräch gebeten. Makoto hat erwähnt, dass sein Hobby Kampfsport ist.              "Sie könnten bei den Bodentruppen eintreten. Hier könnten Sie die Nummer eins im Karate werden, vielleicht sogar Weltspitze. So etwas wäre möglich!", sagt ein Rekrutierer zu ihm.

Die Soziologin Fumika Sato hat die Personalsituation der Selbstverteidigungskräfte untersucht. Die fallende Geburtenrate macht ihnen schwer zu schaffen. In den unteren Rängen klafft eine Lücke von 20 Prozent. Mit den üblichen Methoden der Anwerbung ist sie nicht zu füllen, während gleichzeitig die Landesverteidigung immer mehr in den Fokus rückt. "Die sicherheitspolitische Lage hat sich verändert. Daraus ergibt sich eine neue Job-Beschreibung für die Selbstverteidigungskräfte. Der Dienst ist künftig mit mehr persönlichem Risiko verbunden. Für Leute, die früher eine stabile Beschäftigung darin gesehen haben, ist es jetzt nicht mehr unbedingt die geeignete Berufswahl. Das ist ein Wendepunkt", erklärt Fumika Sato.

Verteidigungsbudget soll in Japan verdoppelt werden

Kleiner Junge in einer Militärweste.
Beim Tag der offenen Tür werben die japanischen Streitkräfte um den Nachwuchs.  | Bild: NDR

Militärisch hat Japan eine Kehrtwende eingeleitet. Die Verfassung verbietet Kriegsführung. Die Politik spricht eine andere Sprache. Für den Bau neuer Kampfjets hat die Regierung eine internationale Kooperation abgeschlossen. Die Rüstungsindustrie sieht das Land als Wachstumsmarkt in Ostasien. Das Verteidigungsbudget soll verdoppelt werden. Waffensysteme kann Japan kaufen. Aber den einen menschlichen Baustein nicht. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Missionen mit weniger Personal durchführen können. Zum Beispiel mithilfe künstlicher Intelligenz und technischer Innovation. Aber auch das hat seine Grenzen", sagt Hideshi Tokuchi vom Forschungsinstitut für Frieden und Sicherheit in Tokio.

Wer soll die neuen Panzer steuern, wenn die Zahl derjenigen im besten Rekrutenalter fällt? Schon in fünf Jahren wird es nur noch eine Million 18-Jährige im Land geben. Die Jungen im Japan der Zukunft werden sich ihren Beruf aussuchen können. Anders als Schüler Makoto stehen nur wenige dem Dienst an der Waffe aufgeschlossen gegenüber: "Am besten ist es natürlich, wenn die Selbstverteidigungskräfte erst gar nicht eingesetzt werden müssen. Aber wenn es doch einmal dazu kommt, dann muss man eben darauf vorbereitet sein."

Potenzielle Gegner abschrecken, das wollen die Selbstverteidigungskräfte. Wenig furchteinflößend ist ihr Erscheinungsbild. Ihr Maskottchen in Tokio ist eine freundliche Möwe. 

Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio Tokio

Stand: 23.04.2023 19:54 Uhr

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