So., 23.04.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Sudan: Der Bürgerkrieg geht weiter
Es ist eigentlich eines der schönsten Gebete des Jahres: Das Freitagsgebet zum Zuckerfest, einem der wichtigsten islamischen Feiertage. Doch in der As-Saeed-Moschee in Khartoum ist die Stimmung niedergeschlagen. Es sind deutlich weniger Menschen zur Predigt erschienen als gewöhnlich, viele fürchten sich davor ihre Häuser zu verlassen. Der Imam predigt für Frieden, doch zum Fest hagelt es in diesem Jahr Bomben. Eine angekündigte Waffenruhe hat nicht einmal wenige Minuten gehalten. Ihr Land rutscht ab in einen Bürgerkrieg. "Wir wachen mit dem Lärm der Kanonen auf und schlafen abends damit ein. Wir hören Raketeneinschläge zum Morgengebet. Noch ist uns hier nichts passiert, aber wir können uns nicht zu sicher fühlen, der Tod kann einen überall einholen", sagt Mumtaz Al-Hassan.
Armee und Kämpfer der Miliz beschießen sich auf offener Straße
Im Zentrum des Sudan liegen am Nil drei Großstädte beieinander: Khartoum, Omdurman und Bahri. In allen dreien kämpfen sie seit dem vergangenen Wochenende, vor allem in der Hauptstadt Khartoum zwischen den Häuserblocks. Armee und Kämpfer der Miliz Rapid Special Forces beschießen sich auf offener Straße. Der Miliz soll angeblich über bessere Straßenkämpfer verfügen, die Armee nutzt ihre Überlegenheit am Himmel, fliegt Luftangriffe auf die eigene Hauptstadt. Es stehen sich die Truppen der beiden mächtigsten Generäle gegenüber. Der eine, Abdelfattah Al-Burhan, Chef des sudanesischen Militärs. Auch der andere will den Takt im Land vorgeben: Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, Anführer der RSF-Miliz mit rund 100.000 Kämpfern.
Beide versprachen dem Volk freie Wahlen, beide haben die jedoch stets verhindert. Militärchef Al-Burhan hat beste Beziehungen ins Nachbarland Ägypten, der Militärstaat am Nil ist wohl sein Vorbild. Der sudanesische Schriftsteller Hammour Ziada beschreibt beide Generäle als nicht besonders ideologisch, eher pragmatisch in der Wahl der Verbündeten: "Burhan ist ein Mann, er kann jede Farbe annehmen, er ist launisch. In seinen Bündnissen sucht er stets die Macht. Ich glaube nicht, dass er selbst Islamist ist, aber er kooperiert mit Islamisten im Land, sieht sie als seine Hauptstütze. Er ist zu allen Allianzen bereit."
Der Führer der RSF-Miliz Hemedti galt lange als Ziehsohn des früheren Langzeitherrschers Al-Bashir. Als Millionen Sudanesen 2019 gegen Al-Bashir auf die Straße gingen, verriet Hemedti seinen einstigen Förderer und setzte ihn mit ab. Das Kind einer Nomadenfamilie aus dem Westen des Landes, aufgestiegen vom Kamelhändler zum Milliardär, wohl durch Geschäfte mit Gold. "Er ist gewieft. Er ist zwar nicht sehr gebildet, aber stinkreich. Er hat sich teure Ratgeber einkauft, die ihn beraten, was er sagen, was er veröffentlichen soll", sagt Schriftsteller Hammour Ziada. Und die ihm womöglich auch geraten haben, seine Allianz mit Militärchef Burhan nun aufzubrechen und gegen ihn in den Krieg zu ziehen. Hemedti setzt auf seine kampferprobten Truppen. Als Söldner sollen sie im Jemen gekämpft haben, in der sudanesischen Provinz Darfur für Massaker und Vergewaltigungen verantwortlich sein.
Zivilisten zwischen den Fronten
"Beide haben ihr wahres Gesicht bereits gezeigt, ob 2019 als sie Protestierende auf den Straßen gewaltsam niedergeschlagen haben oder im Darfur-Konflikt in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Die internationale Gemeinschaft hat komplett versagt, sie für ihre Taten nicht zur Rechenschaft zu gezogen zu haben", sagt Mohamed Osman von Human Rights Watch.
In diesem Konflikt zwischen den Fronten von Miliz und Armee: Zivilisten. Rund 300 sind gestorben, Tausende verletzt. Kliniken sind inzwischen unsichere Orte, zahlreiche wurden wohl bombardiert, Straßen hin zu Krankenhäusern blockiert. "Es gibt keine sicheren Wege für die Menschen, um ins Krankenhaus zu kommen. Das zweite Problem sind die Stromausfälle. Es gibt kaum Wasser, auch der Mangel an Medikamenten ist problematisch. Wir bekommen kaum Sauerstoff für die Operationen“, erzählt Howeida Ahmed, Ärztin am Alban Jadid Krankenhaus.
Auch die Versorgungslage für die Bevölkerung hat sich zugespitzt. Eine Bäckerei in Khartoum ist eine der wenigen, die noch offen hat, die noch Brot backt. Noch. Sie backen weniger als sonst, einige Mitarbeiter sind bereits geflohen. Und sie hätten kaum noch Teig, erzählen sie. Draußen bilden sich lange Schlangen. Trotz der Gefahr auf der Straße haben sie sich rausgetraut. Ihre Befürchtung, es wird in den nächsten Tagen noch schwerer an Essen zu kommen: "Hier herrscht Stillstand, die Bäckereien werden nichtmehr beliefert, die hier hat ihren vorhandenen Teig verbraucht, das hat grade Mal ein paar Tage gereicht. Bald werden die Menschen noch größere Probleme bekommen", sagt ein Mann. Mohammed Taha fügt hinzu: "Ich bin extra für das Brot hierhergekommen. Bei mir im Viertel haben die Bäckereien alle keinen Strom mehr."
Wer kann, der flieht. Viele Richtung Südosten des Landes, wo angeblich weniger gekämpft werden soll. Andere wollen in die Nachbarländer. In der As-Saeed-Moschee in Khartoum kommen dann doch noch kurze, festliche Augenblicke auf. Aus ihrer Heimat zu fliehen, das können sich vor allem die Älteren nicht mehr vorstellen. Auch wenn sie kaum Hoffnung haben, dass in ihren Straßen der Frieden schnell zurückkehrt.
Autor: Ramin Sina, ARD-Studio Kairo
Stand: 23.04.2023 19:53 Uhr
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