So., 28.02.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Sudan: Hoffen auf Hilfe
Für sie ist es das rettende Ufer. Eine Atempause nach einer kräftezehrenden Odyssee. Der Sidait markiert die Grenze zwischen Äthiopien und dem Sudan. Wer den Fluss überquert hat, ist in Sicherheit. Seit einigen Tagen kommen weniger Flüchtlinge aus der Provinz Tigray. Etwa 30 sind es noch am Tag, wie Ahmed Youssef schätzt. Er leitet den Notfalleinsatz der Welthungerhilfe. Mit Sorge sieht er den Aufmarsch des Militärs an der Grenze. Nichts und niemand soll mehr durchdringen. "Die Regierung will offenbar so verhindern, dass mehr Flüchtlinge über die Grenze kommen. Das aber führt zu Spannungen zwischen den beiden Ländern", erzählt der Krisenkoordinator der Welthungerhilfe.
Zehntausende sind seit November schon nach Hamdayet gekommen. Der Grenzort ist damit völlig überfordert. Die Menschen leben im Freien, unter Planen, in Baracken, bei Temperaturen bis zu 40 Grad. Zu Essen gibt es Hafer, Bohnen, etwas Gemüse – wenn überhaupt. Auch Trinkwasser ist knapp. Toiletten fehlen. Ahmed Youssef hat alle Hände voll zu tun. Über die Jahre war er schon bei etlichen Krisen im Einsatz –zuletzt in Darfur. Dieser hier ist für ihn der bislang schlimmste: "Diese Krise kam ohne jede Vorwarnung. Wir waren überhaupt nicht darauf eingestellt, es kam viel zu wenig Geld von Spendern, das Bewusstsein fehlte für die Not der Menschen."
Große Not zwingt die Menschen zur Flucht
Selam Zeneba ist eine der wenigen, die es heute durch die Linien des Militärs über die Grenze geschafft hat. Ihr Hab und Gut in einem Plastiksack. Erleichtert, aber auch erschöpft. Ahmed Youssef nimmt ihre Daten auf, hört sich ihre Geschichte an. Die Gefechte in Tigray halten an, erzählt sie. Auch drei Monate nach Beginn der Offensive von Äthiopiens Armee und verbündeter Milizen gegen die Provinzregierung. Soldaten haben unser Dorf überfallen, geplündert, unser Vieh mitgenommen, sagt sie, zwei Menschen einfach umgebracht.
Zahllose Geschichten über Gräueltaten kursieren im Ort. Kaum zu überprüfen, doch sie ähneln sich. Alles deutet auf ein Massaker an der Zivilbevölkerung hin. Sie sind dem Tod nur knapp entronnen. Vor zwei Monaten überfielen regierungsnahe Milizen ihr Dorf, erzählt Abrah. Just in dem Moment als seine Frau Zwillinge gebar. Sie hatte starke Blutungen, doch niemand kam zu Hilfe. Abrah und seine Kinder flohen, nahmen die Neugeborenen mit, mussten die Mutter zurücklassen. "Ich bin tottraurig. Wir haben auch so viele Menschen tot in den Straßen gesehen. Wir hatten schreckliche Angst. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, aber wir haben so viele tote Menschen gesehen", erzählt er.
Vor Ort herrschen katastrophale Gesundheitszustände
Viele Flüchtlinge kommen mit Krankheiten nach Hamdayet. In der Klinik behandeln Ärzte mehr als 300 Patienten jeden Tag – mit Malaria, Gelbfieber, Durchfall- und häufig schweren Atemwegserkrankungen. Ob es Corona ist, weiß hier keiner so genau. "Es liegt auf der Hand, dass wir hier keine Tests durchführen können. Wir machen, was wir können, tragen Masken, halten Abstand, aber in einem Flüchtlingsumfeld ist das nun mal schwierig", sagt Jason Rizzo von Ärzte ohne Grenzen.
Viele wollen nur noch weg aus dem Elend von Hamdayet. Jeden Mittag brechen 25 vollbesetzte Busse zu den Camps im Landesinneren auf. Die Hoffnung auf eine besseres Leben fährt mit und wird doch oft enttäuscht. In Rakuba leben mehr als 20.000 Flüchtlinge dicht auf dicht – doppelt so viele wie zunächst geplant. Es regiert der Mangel. Für Hilfspakete müssen die Menschen in der Sonne stundenlang anstehen. Lebensmittel, Trinkwasser, Decken, Medikamente sind rar. Eine bittere Erfahrung nach den traumatischen Erlebnissen in Tigray. Viele Kinder sind unterernährt. Sie vertragen die Kost im Camp nicht gut. Durchfallerkrankungen grassieren. "Es ist sehr schwer, ein Kind zu haben und für Essen so lange anstehen zu müssen", sagt Mutter Stirfi Girmay, "manchmal müssen wir den ganzen Tag warten und bekommen am Ende trotzdem nichts."
Hunger und schlechte Hygiene setzt den Kindern besonders zu. Ahmed Youssef bringt den Familien im Camp deshalb ein paar einfache Regeln nahe, um sich besser vor Infektionen zu schützen. Risiken durch Keime und Bakterien lauern überall. "Wenn sich die Menschen nicht an die Hygieneregeln halten, droht hier eine Katastrophe. Krankheiten wie Cholera können sich dann rasend schnell ausbreiten", erzählt er. Das Schicksal der Kinder und die Not im Camp lässt Ahmed Youssef nicht kalt. Er versucht zu helfen, wo er kann und stößt doch überall an Grenzen. Schon jetzt sorgt er sich um den Beginn der Regenzeit im Mai. Dann droht hier eine Katastrophe.
Autor: Daniel Hechler / ARD Studio Kairo
Stand: 28.02.2021 19:50 Uhr
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