Mo., 06.11.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kiribati: Wo sich das Meer die Inseln holt
Anflug auf Tarawa, die Hauptinsel von Kiribati. Spült der Klimawandel jemals Land von der Karte, dann hier – im Pazifikstaat an der Datumsgrenze. Flugzeug, Speedboat, die Pritsche eines kleinen Lasters. Reise an einen Ort, von dem andere die Flucht ergreifen. Das Atoll Abaiang liegt zwei Stunden entfernt: Die Menschen hier lebten lange am, mit und vom Wasser. Jetzt kämpfen sie gegen das Wasser.
Kiribati droht der Exodus
Maria Kabiriera knüpft Pflanzen-Matten und zählt nach, wie oft sie wegen der Fluten schon umgezogen ist: "Viermal haben wir unsere Hütten versetzt", erzählt sie. "Die Wellen sind direkt bis ins Haus geschwappt. Wir haben Angst, dass die großen Wellen wiederkommen und unser Heim zerstören." Der Ozean frisst die Insel auf. Küstenerosion. Bei Ebbe liegt der Sockel frei, Korallenwüste. Bis vor 15 Jahren standen hier Palmen, war hier Strand. Weg, stellenweise hunderte Meter. Bei Flut wirken Kräfte, die es früher nicht gab: "Hinter mir, das war alles mal Land", sagt Maria. "Und die Fischreuse, die war ganz nah am Ufer. Die Menschen konnten einfach dahin laufen. Da weiter unten war sogar mal eine Straße, aber die gibt es jetzt auch nicht mehr." Und der Fraß geht weiter. Diese Wurzeln, erzählt Maria, waren vor einem Monat noch bedeckt. Kurz hinter der Front gedieh mal ein Garten, jetzt ist dort eine Salzwiese. Von unten drückt das Meer. Auch der Teich ist nur noch eine Salzlake. So wird aus lebenswert lebensfeindlich. Aus Marias Familie haben viele Abaiang verlassen. Kiribati droht in den nächsten Jahrzehnten der Exodus.
Ex-Präsident hat auf Fidschi Land gekauft
Fidschi, drei Flugstunden entfernt. Was tun, wenn ganze Völker bald im Wasser stehen? Eine Klimakonferenz auf der Südpazifikinsel sucht nach Antworten. Dieser Mann glaubt, eine zu haben: Anote Tong, Ex-Präsident von Kiribati. Noch im Amt hat er auf Fidschi Land gekauft. Das brachte ihm viel Publicity im Klima-Kampf, aber seinem Volk auch das Gefühl von Sicherheit. "Der Weltklimarat rechnet damit, dass Kiribati bis Ende des Jahrhunderts wohl überflutet ist", sagt er. "Also müssen wir uns überlegen: wohin? Bauen wir Inseln, leben wir auf schwimmenden Inseln, oder ziehen wir anderswo hin?" Im Klartext heißt das: Evakuierung. Vordenker Tong ist radikal, doch auch umstritten.
Zuflucht im Tropenwald
Flug nach Vanua Levu, Fidschis zweitgrößter Insel. Hier liegt Tongs gelobtes Land.
Wer Kiribati einst verlässt, muss lernen, neu zu leben: im Tropenwald statt auf dem Riff. In Savusavu weiß man um den Grundstückskauf direkt vor der Haustür. Und übt sich in Bedenken. Was, wenn die Fremden tatsächlich kommen? "Das wird ein großes Problem", sagte die Menschen hier. Was kann denn passieren? "Die werden sich bekämpfen. Die Leute, die jetzt dort leben, werden ihr Land nicht so einfach aufgeben. Die sind schon sehr lange da."
Migration in Würde oder Invasion?
Der Weg ins Refugium ist kein Gang zum Strand. Er führt über eine Schotterpiste, ab Savusavu 50 Kilometer landeinwärts, anderthalb Stunden. Knapp neun Millionen Dollar war Kiribati der Rettungsanker wert, ohne Strom, das Meer weit weg. Doch da ist ein Dorf: Naviavia. Knapp 300 Einwohner, die Vorfahren waren Plantagensklaven von den Salomonen. Der Landverkauf hat ihre Scholle auf 50 Hektar reduziert. Das eigentlich arme Kiribati sitzt nun auf 2000 Hektar – 20 Quadratkilometer. Naviavias Dorfchef Sade Marika führt uns die steilen Hänge hinauf. Die will Kiribati erstmal beackern. Doch wie hier vielleicht mal Zehntausende leben sollen, die sonst nur fischen gehen, es ist ihm ein Rätsel. "Wir warten jetzt mal ab und schauen uns an, welche Auswirkungen das hat. Und was das für Menschen sind aus Kiribati. Wenn sie denn kommen", sagt er. "Damit wir eine Beziehung aufbauen können." Fidschi hat auch ganz eigene Klimasorgen. Doch es ragt vulkanisch auf, und noch ist Platz. Kiribatis Ex-Präsident wollte ein Zeichen setzen: Wenn die Welt nichts tut, dann helfen wir uns eben selbst. Er nennt das "Migration in Würde". Doch in Naviavia denkt man eher: Invasion.
Das Wasser kommt
Ufermauern in Ruinen: Wie Erderwärmung das Klima wandelt, politisch, global, das lässt sich nur erahnen. Doch das Wasser kommt. Und steigt. Und Kiribati sitzt mittendrin. Auf Abaiang hat sich der Pazifik fast ein ganzes Dorf geholt: geflutet, versalzt, entvölkert. Widerstand zwecklos. Den Kindern gefällt die warme Wanne. Dass die Süßwasserlagune fehlt, der Milchfisch längst auch, dass Palmen die Früchte verlieren – sie begreifen es noch nicht.
"Die Insel zerfällt, die Pflanzen sterben"
"Früher standen hier überall Bananen und Papayas", erzählt Anwohnerin Tenano Tekarika. "Es gab viele Häuser. Und einen Laden. Der ganze Ort war voller Menschen und Früchte und Pflanzen." Süßwasser im Süden des Atolls. Die Schwiegertochter hilft Maria beim Abwasch. Elf Kinder hat sie geboren, das Leben stets gemeistert. Doch den springenden Fluten, so fürchtet sie, sei niemand mehr gewachsen: "Wenn ich mir unser Dorf anschaue: Die Insel zerfällt, die Pflanzen sterben", sagt Maria. "Ich glaube, wir haben hier keine Zukunft mehr. Bald steht hier alles unter Wasser. Es wird einfach eins mit dem Meer."
Autor: Uwe Schwerin, ARD-Studio Tokio
Stand: 31.07.2019 09:53 Uhr
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