So., 13.10.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Libanon: Beirut – Bomben und Alltag
"Was nimmst du mit, wenn dein Haus bombardiert wird und du fliehen musst?" – diese Frage stellt die Fotografin Laura Menassa Freunden und Bekannten und hält die Auswahl ihrer Gegenstände in Fotos fest. Geld, den Pass und den Laptop – der 29-jährige Azzam hat sich vor allem für praktische Gegenstände entschieden. Besonders wichtig ist ihm auch der E-Book-Reader: "Ich habe Bücher von Menschen im Krieg draufgeladen, weil ich das jetzt auch bin: ein Mensch im Krieg."
Laura hat in den letzten Monaten den Inhalt zahlreiche Notfalltaschen fotografiert. Azzams Auswahl überrascht sie nicht: "Meistens packen die Menschen ein bis zwei sentimentale Dinge ein und ansonsten nur Praktisches."
Libanon: Leben im ständigen Ausnahmezusatnd
Was tue ich im Ernstfall? Libanesinnen und Libanesen müssen sich seit einem Jahr mit dieser Frage beschäftigen. Seitdem herrscht Krieg zwischen der hier ansässigen Hisbollah und dem Nachbarland Israel. Monatelang beschränkten sich die Kämpfe vor allem auf den Süden des Landes. Vor drei Wochen dann beginnt Israel eine neue Phase des Kriegs. Seitdem bombardiert die Armee auch die Hauptstadt Beirut – jeden Tag und jede Nacht.
Dabei brauchen die Bewohnerinnen und Bewohner so sehr eine Pause. Der Krieg – nach Finanzkrise, Coronapandemie, der Explosion im Hafen und dem politischen Stillstand die fünfte Krise in nur fünf Jahren. Das Leben im ständigen Ausnahmezustand, es verändert die Menschen. Das wird auch beim Fotoshooting von Azzam und Laura klar. "Seit der Explosion im Hafen weiß ich: Ich hätte sterben können. Und: Du weißt nie, wann der Tod kommt”, sagt Azzam. Laura Menassa ergänzt: "Ich denke, diese Einstellung ist wichtig. Zu wissen, es kann jeden Moment passieren, macht Angst. Aber du kannst das auch akzeptierst. Dass du es eben nicht kontrollieren kannst. Dass wir alle sterben werden und nicht wissen wann."
Tausende Menschen leben auf der Straße
Beirut, die lebhafte Metropole hat sich verändert. Bars sind geschlossen, am Himmel dröhnen israelische Überwachungsdrohnen und auf den Straßen leben Tausende Menschen, deren Zuhause längst von den Bomben zerstört wurde. "Unsere Situation ist sehr schlecht, wie du sehen kannst. Keine Hilfsorganisation bietet uns eine Unterkunft. Immerhin kommen manchmal Freiwillige und helfen uns mit Essen", sagt Issam.
Der Krieg lässt die Unterschiede in der libanesischen Gesellschaft noch größer werden. Es sind die Viertel der weniger Privilegierten, die bombardiert werden. Sicherheit ist im Libanon auch zu einer Frage des Geldes geworden. Wir treffen die Fotografin Laura wieder. Die Zerrissenheit der Bevölkerung macht auch ihr Sorgen. "Ich möchte vereinen. Zeigen, dass wir am Ende alle gleich sind. Wenn du dir meine Fotos anguckst, siehst du, wir denken alle gleich. Im Notfall, nimmt jeder die selben Dinge mit." Lauras Fotos machen die Verlustangst einer ganzen Nation sichtbar. Sie suchen die kreative Antwort auf die Frage: Was bleibt, wenn einem das Zuhause genommen wird?
"Der Krieg wird langfristige Auswirkungen haben"
Die wissenschaftliche Antwort hat die Psychologin Mira Dali Balta. Sie arbeitet beim Sorgentelefon. Die 28-Jährige erlebt hier jeden Tag, was der Krieg mit der Bevölkerung macht. In den vergangenen Wochen hat das Team dreimal so viele Anrufe bekommen, wie sonst. Mira Dali Balta: "Der Krieg wird langfristige Auswirkungen haben. Symptome von Posttraumatischen Belastungsstörungen zeigen sich erst drei bis sechs Monate nach dem Trauma. Leider wird es den Leuten hier lange nicht gut gehen." Mira und ihre Kolleg:innen sind überzeugt: Psychologische Unterstützung sollte in Kriegszeiten kein Luxus sein. Das Team macht sich bereit. Heute bieten sie ihre Seelsorge in Notunterkünften an. Es werden sensible Gespräche, die sie lieber ohne Kamera führen wollen.
Wir treffen noch einmal die Fotografin Laura: "Ich habe gelernt, dass ein Zuhause mehr sein kann als ein Ort, es ist alles, was dich mit deinen Wurzeln und deiner Identität verbindet." Laura hofft, dass sie ihr Fotoprojekt bald beenden kann. Dass die Menschen im Libanon ihre Notfalltaschen wieder auspacken können.
Autorin: Stella Männer, ARD-Studio Beirut
Stand: 13.10.2024 20:31 Uhr
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