Mo., 01.05.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Myanmar: Aung San Suu Kyis Versagen – Das Schicksal der Rohingyas
Auf einem spärlichen Krankenbett liegt ein Mädchen, erschöpft von Fieber und Schmerzen. Verängstigt. Die Helfer versuchen, einen Zugang zu legen. Das Kind braucht dringend Flüssigkeit. "Meine Tochter ist krank", sagt der verzweifelte Vater. "Wir haben keine Arbeit, kein Geld. Wer kann mir schon helfen?" Es ist drückend schwül auf der Krankenstation im Flüchtlingslager Baw Du Pha. Ein einzelner Raum muss herhalten für alle, die krank geworden sind im Kyaw Hla Aung – und Hilfe brauchen. Eine Frau mit ihrem Sohn steht seit morgens früh hier an. Auch er hat Husten und Fieber. Jetzt endlich wird er vorgelassen zum einzigen Arzt. "Wir haben wenig Medikamente, und kaum Geräte", sagt der Doktor. "Manche Patienten können wir ins Krankenhaus nach Sittwe bringen. Viele freut das. Weil sie Hilfe bekommen. Und auch, weil sie endlich einmal das Lager verlassen können."
Leben im Lager
Sittwe, Hauptstadt des Bundesstaates Arakan, im Westen Myanmars. Seit Jahrzehnten streiten hier buddhistische Burmesen mit den muslimischen Rohingya. Sie gelten als unerwünschte Zuwanderer aus Bangladesh, als Muslime sind sie bei vielen geradezu verhasst. Immer wieder kommt es zu brutaler Gewalt. Mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Vor fünf Jahren tobte ein Mob durch die Straßen Sittwes und anderer Städte im Arakan. Seitdem hat die Regierung am Stadtrand Lager für die Rohingya errichtet. Obst und Gemüse auf dem Markt sind hier zu haben. Arbeit aber gibt es nur selten. Die Menschen haben keine Papiere, die meisten werden als Staatsbürger nicht anerkannt. Die Camps dürfen sie ohne Erlaubnis nicht verlassen. Die Versorgung der Menschen übernehmen oft internationale Organisationen. Das Welternährungsprogramm liefert Reis, auch Babynahrung. Einmal im Monat ist jede Familie dran.
Immer wieder Gewalt
"Ich bin Witwe und habe fünf Kinder zu ernähren", sagt eine Frau. "Und natürlich haben wir auch von den jüngsten Übergriffen gehört. Es gehe ja seit Jahren so. Hört das denn niemals auf?" Im Oktober hatte es die letzte Welle der Gewalt gegeben. Eine Gruppe militanter Rohingya hatte eine Station der burmesischen Grenzpolizei angegriffen. Ein solcher Überfall mit neun toten Polizisten, das war neu. Die Reaktion des burmesischen Militärs: härter denn je. In der Region um Maungdaw beschießen Kampfhubschrauber Dörfer der Rohingya. Ganze Siedlungen brennen nieder. Drei Monate lang dauert der brutale Einsatz. 70.000 Flüchtlinge retten sich über die Grenze nach Bangladesch. Die Vereinten Nationen sprechen später von möglicherweise "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Burmesische Soldaten hätten Frauen vergewaltigt und zigfach gemordet, auch Kinder und Babies. Die Regierung verteidigt den grausamen Einsatz. "Der Angriff auf die Polizeistation, das ist für uns wie der 11.September für die Amerikaner", erklärt Myanmars Informationsminister. "Wir wurden massiv angegriffen. Aber in den Medien sind nur die vielen Flüchtlinge Thema."
Aung San Suu Kyi lächelt die Probleme klein
Viele hatten gehofft, dass sie den jahrzehntelangen Konflikt mit den Rohingya lösen wird: Aung San Suu Kyi, vor kurzem auf einer Reise im Norden Myanmars. Vom Militär war sie jahrelang unter Hausarrest gestellt. Die ersten freien Wahlen in Myanmar vor anderthalb Jahren hatte sie haushoch gewonnen. Ihre Bilanz nach einem Jahr im Amt aber ist ernüchternd: die Friedensnobelpreisträgerin lässt dem Militär freie Hand beim grausamen Einsatz gegen die ungeliebten Rohingya. Wir wollen sie fragen. Doch ein Gespräch kommt nicht zustande. Suu Kyi, so scheint es, lächelt die Probleme klein.
"Sie hat Angst vor dem Militär"
Im Rohingya Camp in Sittwe: Dass Suu Kyi die Gewaltakte des Militärs sogar verteidigt, ist für den Aktivisten Kya Hla Aung unerträglich – aber verständlich. Alles andere wäre für Suu Kyi politisch zu gefährlich. "Sie hat Angst vor dem Militär. Sie kann nichts machen", sagt er. "Es gibt zwei Regierungen in unserem Land. Eine gewählte, zivile, und das Militär. Das Militär hat die Waffen. Und die anderen haben nichts. Was kann sie also tun?"
Hoffen auf Heimat
Durchs Fenster der Apotheke werden Medikamente verteilt und Bezugsscheine für Babynahrung. Es reicht gerade so zum Überleben hier. "Ich wünsche mir, dass es meiner Tochter einmal besser geht, und dass sie später etwas lernen kann. Wir haben Hoffnung. Wie jeder andere Mensch auch." Mehr kann der junge Vater mit seiner Tochter im Moment wohl nicht tun. Hoffen. Hoffen auf Heimat. Wie so viele andere Familien der Rohingya.
Autor: Philipp Abresch, ARD Studio Singapur
Stand: 14.07.2019 12:22 Uhr
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