So., 11.06.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Taiwan: Kriegsspiele im Urlaubsparadies
Die Penghu-Inseln sind ein beliebtes Ferienziel der Taiwaner. Rund 50 Kilometer von der Hauptinsel entfernt, locken sie mit Traumstränden und Feuerwerk jährlich Hunderttausende an. Doch die Inselgruppe befindet sich in einer brisanten Lage. Sie liegt in der Taiwan-Straße, einem der gefährlichsten Konfliktherde der Welt. Penghu wäre im Fall eines militärischen Angriffs ein wichtiges Bollwerk zur Verteidigung Taiwans.
Taiwan übt für den Ernstfall – ein Angriff durch China
Es ist der 9. September 2025. In Taiwan tritt der Ernstfall ein. Chinesische Kriegsschiffe nähern sich der taiwanischen Insel Pong-hu. Peking macht seine Drohung wahr und greift Taiwan an. Es ist ein Übungsszenario der Rettungskräfte Taiwans – noch. Nach dem Motto: Wenn wir im Frieden mehr schwitzen, bluten wir in Kriegszeiten weniger. "Jetzt schwitzen und später gar nicht bluten, das wäre das Beste", sagt Yang Hung-wei von der Feuerwehr Penghu. In 25 Jahren Dienst bei der Feuerwehr hat Yang Hung-wei schon viel Schlimmes gesehen. Einen Krieg würden er und seinen Kameraden ihrer Heimat gern ersparen.
Bisher sind es keine Kriegsschiffe aus China, sondern Fähren aus Taiwan, die Kurs auf Penghu nehmen. Es ist Feriensaison auf der Insel, die mitten in der Taiwan-Straße liegt. Der Konfliktregion, der das Potenzial für einen Weltkrieg zugetraut wird. Tausende Taiwaner kommen hierher, um zu genießen – trotz der Drohungen aus China. "Wir leben einfach unseren Alltag weiter. Von den militärischen Übungen bekommen wir nichts mit. Wir sind daran gewöhnt, seit wir klein sind. Taiwan ist sicher. Uns macht das also nichts", erklärt Touristin Hshu Chun-yu. "Sorgen machen wir uns schon. Unser Leben verläuft normalerweise friedlich. Wenn Einflüsse von außen das plötzlich ändern können, dann gerät man schon ins Grübeln", sagt Touristin Chang Ting-tzu. Und Hsu Hsiu-e, ebenfalls Touristin, meint: "Klar mache ich mir Sorgen. Wir haben Angst, dass das Ganze so ausgeht wie in der Ukraine."
Wo immer es die Urlauber hinzieht. Auf vielen Schnappschüssen ist im Hintergrund auch das Militär zu sehen. Täglich starten taiwanische Abfangjäher, weil chinesische Maschinen wieder einmal nahekommen. Wenn die Gäste noch schlafen, übt Taiwans Militär regelmäßig mit scharfer Munition – für die Verteidigung der Insel gegen den übermächtigen Gegner, die Volksrepublik China. Chen Kuang-fu, Landrat von Penghu, ist zuständig für die zivilen Vorbereitungen auf den Verteidigungsfall. Er die Regierung in Taipeh um mehr Soldaten gebeten. "Wir sind in einer schwierigen Lage, weil dieser feindselige Nachbar ständig mit dem Baseballschläger vor unserer Haustür herumprotzt."
Zivilschutzübungen zu 70 Prozent auf Kriegsfall ausgerichtet
Welche Chance haben die Insulaner, wenn es der Gegner eines Tages auf Zerstörung anlegt? Bomben auf den Hafen fallen, Öl ausläuft? Sie üben sich in Schadensbegrenzung. Sogar Chemieunfälle, verursacht von feindlichen Agenten, proben sie inzwischen. Wie die Feuerwehrleute um Yang Hung-wei trainieren sie überall in Taiwan. Die Zivilschutzübungen sind mittlerweile zu 70 Prozent auf den Kriegsfall ausgerichtet. "Je mehr Situationen wir proben und je besser wir uns vorbereiten, desto schneller können wir auf alle möglichen Katastrophen reagieren und Probleme lösen", erklärt Feuerwehrmann Yang Hung-wei. Gelöst hat die stundenlange Plackerei in sengender Hitze noch nichts. Aber vom Planspiel geht eine Botschaft aus. Taiwan stellt sich auf für den Tag X.
Identität der Taiwaner festigt sich
Während China weiter aufrüstet: "Die gewaltsame Eroberung Taiwans rückt aus der Sicht Chinas in greifbare Nähe, da die Volksrepublik ihre militärischen Fähigkeiten verbessert", sagt Ken Jimbo, Politologe an der Keio Universität in Tokio. "Gleichzeitig festigt sich die Identität der Taiwaner. China sieht seine Aussichten schwinden, sein Ziel auch auf anderen Wegen zu erreichen, wie es etwa in Hongkong möglich war."
In ausweglosen Situationen erbitten die Menschen auf Penghu den Beistand der Meeresgöttin Mazu. Feuerwehrmann Yang besucht ihren Tempel regelmäßig. Der 52-Jährige betet hier nicht nur für das Glück seiner Familie, die hier seit Generationen lebt, und seiner Tochter, die auf der Hauptinsel Taiwan studiert. "Ich hoffe und bete, dass auf der Welt Frieden herrscht, und dass es keinen Krieg mehr gibt. Das wäre für alle das Beste!"
Am Abend strömen die Feriengäste ans Ufer, dessen Verteidigung noch am Morgen geübt wurde. Auf dieser Insel, die aufgrund ihrer Lage zwangsläufig zum Kriegsschauplatz würde, treten die Zukunftsängste für ein paar Stunden in den Hintergrund. Die Explosionen am Himmel über der Meerenge von Taiwan – heute Nacht stehen sie für friedliches und fröhliches Fest.
Autor: UIlrich Mendgen, ARD-Studio Tokio
Stand: 11.06.2023 09:57 Uhr
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