So., 16.02.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA/Kanada: Neue Spannungen an der Grenze?
Die "Haskell Free Library and Opera" liegt genau auf der amerikanisch-kanadischen Grenze. Sie hat Post-Adressen sowohl im kanadischen Stansted/Quebec als auch im amerikanischen Derby Line, das zum Bundesstaat Vermont gehört. Seit Jahrzehnten wird die Bibliothek von Mitarbeitern aus beiden Ländern betrieben. Der kleine Grenzverkehr gehört ganz selbstverständlich zum Alltag. Doch die Pläne von US-Präsident Trump trüben die Stimmung. Keiner weiß, was kommen wird, wie sich die Beziehungen der beiden Länder entwickeln werden.
"Haskell Free Library and Opera": Ort für beide Seiten der Grenze
Mit den Zehen in den USA, mit den Fersen in Kanada. Die Grenze ist hier nur ein Klebestreifen. Auf der einen Seite die USA, auf der anderen Kanada. Die Staatsgrenze mitten durch diese Bibliothek macht den Ort auch zur Touristenattraktion. "Sie überqueren die Grenze und halten die Fahnen. Aber so, nicht falschherum", sagt Kathy Converse. Sie ist Expertin für das perfekte Touristenfoto. Denn sie gibt seit 20 Jahren Touren durch das alte Gebäude. Die Bibliothek auf der Grenze wurde vor mehr als 100 Jahren gebaut – als Treffpunkt für Amerikanerinnen und Kanadier. Deshalb gibt es hier Bücher auf Englisch und Französisch. "Das ist ein Ort für Menschen von beiden Seiten der Grenze. Sie lesen hier, nutzen die Computer oder kommen mit ihren Kindern“, sagt sie. Wie eine Familie – so beschreibt Kathy die kleine amerikanisch-kanadische Gemeinde. Noch.
Mittendrin und mitten auf der Grenze steht die gelb-graue Bibliothek. Wer nicht direkt davorsteht, kann auch mal übersehen, wo Kanada endet und die USA anfangen. Einfach über die kleine Kette klettern – allerdings verboten. Ein- und Ausreisende müssen sich bei der Grenzpolizei melden. Wer nur in die Bibliothek will, nicht. Es gilt eine alte Ausnahmegenehmigung. Aber: Für den Eintritt gibt es strenge Regeln, erklärt Kathy. "Wenn Sie aus Kanada kommen, parken Sie auf der kanadischen Seite. Sie müssen immer auf diesem Bürgersteig bleiben. Hier gehen Sie rein. Beim Rausgehen müssen Sie denselben Weg nehmen. Sie dürfen die Straße nicht überqueren oder weiter weg gehen." Überwacht wird das alles per Kamera im Baum und von Patrouillen. Der einzige Eingang liegt in den USA. Schon nach dem 11. September seien die Auflagen strenger geworden, genau wie während Covid. Aber: "Ich bin seit 20 Jahren hier. Wir hatten noch nie den politischen Druck, den wir jetzt haben", sagt Kathy.
Make America great again – in der Wirtschaft nicht so leicht umzusetzen
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600 Kilometer weiter südlich: Vor den Toren von New York gibt es eine Firma, die genauso produziert, wie es Donald Trump vorschwebt. Bei Mitch Cahn gilt seit mehr als 30 Jahren: alles "Made in USA". An der Wall Street hat er gelernt, die Firma so zu verschlanken, dass er seinen Näherinnen amerikanische Löhne zahlen kann. "Wir haben schon in Amerika produziert, als alle anderen nach China umgezogen sind. Wir sind hiergeblieben, weil wir wussten, es gibt genug Leute, die Wert legen auf das "Made in USA"-Label." Ein kleines Label, aber es beschert ihm eine Kundschaft, die dafür gerne ein paar Dollar mehr zahlt. Gewerkschaften etwa, oder das Pentagon. Doch ob das so bleibt, wenn Trump all seine Pläne durchsetzt, die Zölle etwa, die auch Mitch treffen würden? "Das Chaos, das von der Trump-Regierung kommt, passiert zur selben Zeit wie das Chaos, dass künstliche Intelligenz, Klimawandel und die geopolitischen Risiken lostreten. Wenn Du nicht vorbereitet bist auf all das, was Chaos verursachen kann, dann kriegst Du Probleme."
Unionwear macht gute Umsätze. Viele Näherinnen arbeiten seit Jahren hier. Es gilt zwar: "Made in USA" – aber gesprochen wird Spanisch. Fast alle 145 Angestellten stammen aus Lateinamerika. Trumps harte Einwanderungspolitik wird sie wohl nicht direkt treffen, alle sind legal hier. Aber die anderen Nähereien dürften sie zu spüren bekommen, und das könnte den Markt komplett verändern. "Wenn deren Mitarbeitenden abgeschoben werden oder sich nicht mehr zur Arbeit trauen, dann steigt der Druck aufs Textilgewerbe, weil Arbeitskräfte fehlen. Da würden auch wir drunter leiden", sagt Mitch Cahn, Besitzer von "Unionwear". Make America great again – Amerika wieder groß machen, eine schöne Idee, sagt Mitch, aber in der Wirtschaft nicht so leicht umzusetzen.
Nachrichten über Zölle verunsichern Unternehmen
"America First" – "Amerika zuerst": noch ein Versprechen. Hier im US-Bundesstaat Vermont könnte es schaden. Die Nachrichten über Zölle verunsichern. Nirgendwohin exportieren Unternehmen aus dieser Region so viel wie ins Nachbarland Kanada. Dass dieser Schneepflug brummt und fährt – ein grenzübergreifendes Gemeinschafsprojekt. "Das Fahrgestell wird in Kanada hergestellt, der Motor in den USA, ein Teil des Motors wird in Mexiko montiert", erklärt Denis Larue. Seine Firma hat ihren Hauptsitz nicht hier, sondern in Kanada. Trumps Versprechen: Durch Zölle Unternehmer wie Denis dazu zu bringen, mehr in den USA zu produzieren und so Jobs zu schaffen. Das Problem: Der Familienunternehmer hat Kunden in beiden Ländern. "Wir werden sowohl Leute hier als auch in Kanada brauchen. Es werden also zwei Personen gleichzeitig an demselben Projekt arbeiten. Die Kosten für die Maschine werden also mit Sicherheit steigen."
Viele seiner US-Kunden seien zum Beispiel Flughafenbetreiber – und damit oft der Staat und die Steuerzahler, sagt Denis. Die aktuelle Unsicherheit ist ein Problem. Nicht nur für Unternehmer. Auch wenn es bisher vor allem Ankündigungen sind: Zölle und mehr Grenzkontrollen sorgen Kathy und die anderen in der kanadisch-amerikanischen Gemeinde rund um die Bibliothek in Vermont. "Je mehr diese Dinge trennen, desto mehr werden wir emotional voneinander getrennt. Ich denke, dass dies wirklich schmerzhafte Auswirkungen auf die Menschen in der Gegend haben wird", sagt Kathy Converse.
Die Zeiten, in denen die USA ein verlässlicher Partner waren – sie scheinen vorbei zu sein.
Autorinnen: Sarah Schmidt, ARD-Studio Washington/Marion Schmickler, ARD Studio New York
Stand: 16.02.2025 20:03 Uhr
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