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Ukraine: Wie Frieden verhandeln?

Ukraine: Wie Frieden verhandeln? | Bild: NDR

"Einer nach dem anderen", ruft ein russischer Soldat in diesem Video. Die Männer im Bild – laut Ermittlungsbehörden ukrainische Soldaten. Unbewaffnet. Wenige Sekunden später erschießen die russischen Soldaten die ukrainischen Männer. Seit Monaten stoßen wir bei Recherchen immer wieder auf neue Aufnahmen, die zeigen, wie russische Soldaten ukrainische Gefangene brutal hinrichten.

Russland: Gewalt als Mittel der Entmenschlichung

Die Hinrichtung von Kriegsgefangenen – ein schwerer Verstoß gegen das dritte Genfer Abkommen. Darin sind die Rechte von Kriegsgefangenen umfassend festgelegt. "Die Genfer Konventionen wurden nie auf uns angewendet. Im Gefängnis wurde uns regelmäßig gesagt, dass wir keine Kriegsgefangenen sind. Weil es keinen Krieg gibt, sondern eine militärische Spezialoperation", sagt Maksym Butkewytsch, ehemaliger Kriegsgefangener. Er hat die russische Kriegsgefangenschaft überlebt. Im Oktober 2024 kommt er bei einem Gefangenenaustausch frei. Nach zwei Jahren und vier Monaten in russischer Haft.

Butkewytsch engagiert sich seit Jahren in der Ukraine – als Menschenrechtler und Antimilitarist. Und doch ist er aus Überzeugung in die Armee gegangen, um Gewalt gegenüber seinem Volk zu verhindern. Um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Der Krieg hat ihn nicht nur optisch verändert. Die Gewalt, die er erleben musste, hat Spuren in seinem Innersten hinterlassen. "Das Ziel jeder Form von Gewalt besteht darin, einen Menschen zu einem Objekt zu machen. Zu einem Objekt, das keinen eigenen Willen hat. Mit dem man machen kann, was man will. Man kann eine entsprechende Atmosphäre schaffen, in der man keine direkte physische Gewalt gegen eine Person anwenden muss. Weil sie aber weiß, dass sie im Fall des Ungehorsams Schmerzen erleiden wird und in einer Atmosphäre der Angst lebt, wird sie tun, was man ihr sagt."

Ungerechtigkeit, sagt Butkewytsch, sei ein Eckpfeiler der russischen Welt. Er wurde in russischer Kriegsgefangenschaft erniedrigt und geschlagen. Ihm wurden Kriegsverbrechen angehängt, die er nachweislich nicht begangen haben kann. Dennoch wurde der Menschenrechtler von russischen Behörden zu 13 Jahren Straflager verurteilt. "Das ist ein typisches Muster – sie begehen Kriegsverbrechen, verletzen oder töten Menschen und schieben die Schuld auf diejenigen, die die Opfer beschützt haben. Das ist keine Ungerechtigkeit, nicht einmal Zynismus. Das ist das, was die russischen Soldaten systematisch machen."

Hinrichtungen ukrainischer Kriegsgefangener durch russische Soldaten

Vassili Golod schaut sich Videos an.
Seit Monaten stoßen wir bei Recherchen immer wieder auf neue Aufnahmen, die zeigen, wie russische Soldaten ukrainische Gefangene brutal hinrichten.  | Bild: NDR

Gewalt als Mittel der Entmenschlichung. Russische Soldaten filmen ihre Gräueltaten, weil sie keine Konsequenzen fürchten müssen. Kriegsverbrechen nachzuweisen ist komplex. Mit speziellen Programmen sammeln und analysieren Ermittler unter anderem öffentlich zugängliche Informationen. Sie haben keinen Zugang in die von Russland besetzten Gebiete. Und in den meisten Fällen auch nicht die Möglichkeit, die toten Körper zu untersuchen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hinrichtungen, sagt die ukarinische Generalstaatsanwaltschaft. "Die Situation verschlechtert sich immer weiter. Wenn es sich im Jahr 2022 und fast im gesamten Jahr 2023 noch um Einzelfälle handelte, dann begannen sich die Fälle ab November 2023 zu häufen. Tatsächlich fanden im Jahr 2024 81 Prozent aller Hinrichtungen von Kriegsgefangenen der vergangenen drei Jahre statt", erklärt Jurij Beloussow.

Auch die UN sprechen von einem alarmierenden Anstieg. Die Vereinten Nationen bestätigen dutzende Fälle von Hinrichtungen ukrainischer Kriegsgefangener durch russische Soldaten. Es handele sich um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. "Diese Hinrichtungen sind nicht im luftleeren Raum geschehen. Seit Beginn des Angriffskriegs sehen wir in öffentlich zugänglichen Quellen, wie russische Behörden und russische Blogger zur Misshandlung ukrainischer Kriegsgefangener aufrufen", sagt Danielle Bell, Leiterin UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission Ukraine. Russland bricht geltendes Recht - mit System, aber ohne Konsequenzen.

Maksym Butkewytsch: Antimilitarist bittet um militärische Unterstützung

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt erinnern Porträtfotos an Männer und Frauen, die bei der Verteidigung ihres Landes getötet wurden. Seit seiner Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft kommt Maksym Butkewytsch zum ersten Mal hierher. "Wir waren umzingelt. Und in der Tat, auch mein Foto könnte hier sein. Aber ich hatte das Gefühl, dass das ein Preis war, der es wert ist, gezahlt zu werden. Denn es gibt wichtigere Dinge. Und bei diesen Dingen geht es in erster Linie um andere Menschen." Und um Gerechtigkeit. Doch wie kann es überhaupt einen gerechten Frieden geben? Mit einem Russland, das — wie Butkewytsch sagt – Menschen zu Objekten macht und auf einer Kultur der Gewalt aufbaut. "Wenn wir keinen Druck auf die Menschen ausüben, die unter dem Banner der Befreiung Hunderttausende Menschen getötet und Dutzende Siedlungen zerstört haben. Die der Welt faktisch das Recht des Stärkeren aufzwingen. Deren Weltanschauung darauf beruht, dass der Stärkere Recht hat. Um mit ihnen über die Beendigung ihrer Aggression zu sprechen, ist es manchmal notwendig, ihre Sprache zu sprechen", sagt Butkewytsch.

Ein Antimilitarist bittet um militärische Unterstützung. Denn um in Verhandlungen mit Russland zu gehen, müsse der ukrainische Widerstand gestärkt werden. Nur aus einer starken Verhandlungsposition heraus, sagt der Menschenrechtler, könne die Ukraine verhindern, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.

Autor: Vassili Golod, ARD-Studio Kiew

Stand: 16.02.2025 20:03 Uhr

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