So., 10.07.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ägypten: Das Ende der Hausboote in Kairo
Es war eine Oase der Ruhe mitten in der so lauten und staubigen Millionenstadt. Seit über hundert Jahren. 32 Hausboote, direkt am Nil-Ufer. Hier wohnen vor allem Künstler:innen und Intellektuelle. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Regierung plötzlich die Boote weghaben möchte. Offiziell heißt es, sie seien im Weg, wenn es darum geht das Ufer zu "entwickeln", Mit den Hausbooten kann kein Geld verdient werden. Die Behörden reagierten überraschend schnell. Eine Woche hatten die Bewohner:innen Zeit, ihre Wohnungen zu verlassen, dann kamen die Hausboote an den Haken und wurden weggeschleppt.
Hausboote – ein kleines Paradies am Nil
Für Schriftstellerinnen und Künstler in Ägypten ist der Nil eine wichtige Quelle der Inspiration. Drei Bücher und eine wöchentliche Zeitungskolumne hat Ahdaf Soueif hier geschrieben. Seit 10 Jahren lebt sie auf einem Hausboot auf dem Nil. Sie liebt das Leben auf dem Wasser, es ist ein erfrischender Lifestyle, der Gegenentwurf zu den staubigen Hochhäusern der Millionenstadt. "Man lebt mitten in der Stadt mitten in der Natur, wir können den Nil berühren. Hinter dem Boot haben wir einen Garten, den wir hegen und pflegen. Wir sind so nah an den Vögeln und den Fischen."
Dicht an dicht liegen die Hausboote am Ufer Kairos. Von der Straße aus ist Ahdafs Hausboot hinter dem ganzen Grün kaum zu erkennen. Ein Paradies mitten in Kairo. Zwischen den Blumen, den Avocados an den Bäumen und den Palmen schuften jetzt Möbelpacker. Das ganze Hab und Gut der Schriftstellerin wird eingepackt. In Windeseile muss sie ausziehen. Vor zwei Wochen hat die ägyptische Regierung ihr ein Schreiben geschickt, das Hausboot innerhalb von einer Woche zu räumen. Ahdaf und ihr Sohn sind sehr angespannt. Wenige Tage nachdem sie Post bekommen haben, haben die Abrissarbeiten am Nachbarboot bereits begonnen. Die Regierung scheint es ernst zu meinen. "Sie wollen keine Hausboote mehr auf dem Nil, nur noch Kommerz und touristische Projekte. Das ist die Vision. Dabei ist der Nil in Kairo doch so lang, die Hausboote nehmen nur einen halben Kilometer Platz ein von insgesamt 50 Kilometern. Aber sie wissen die Hausboote einfach nicht wertzuschätzen."
Keine Rücksicht auf ein Stück kulturelles Erbe
Seit mehr als einem Jahrhundert gehören die 32 bunten Hausboote zum kulturellen und architektonischen Erbe der Stadt. Ein Rückzugsort vor allem für Intellektuelle, voller Geschichten und Geschichte. Wilde Partys im konservativen Staat. Von den 60ern schwärmen die Älteren noch heute. Die wilden Feierjahre miterlebt hat sie: Ikhlas Ibrahim. Sie ist auf einem der Hausboote geboren. Zu ihren Gänsen und Katzen hat die 88jährige eine innige Beziehung, die Tiere spüren, die Frau ist unruhig. "Ich will auf dem Hausboot sterben, dann kann die Regierung es bekommen. Ich gebe es der Regierung nach meinem Tod, aber sie sollen mich hier weiterleben lassen. Mein ganzes Leben bin ich hier. Und so viele Jahre werde ich doch nicht mehr leben." Wie alle Hausbootbesitzerinnen und -besitzer hat auch sie eine einwöchige Frist bekommen. Ikhlas hat keine Kinder, ihre Schwester und ein Nachbar helfen beim Packen. "Ich weiß nicht, wo ich hinsoll. Ich kann es nicht fassen, dass sie uns wirklich alle auf die Straße werfen wollen."
Doch die Behörden nehmen keine Rücksicht. Die Hausboote seien einst ohne ihre Zustimmung gebaut worden, Lizenzen und Genehmigungen der Besitzerinnen würden fehlen, heißt es. Ein Interview lehnt das zuständige Ministerium für Bewässerung aber ab. Zum letzten Mal geht die Sonne über der Hausbootsiedlung unter. Am nächsten Morgen herrscht Hochbetrieb auf dem Nil. Die staatlichen Behörden arbeiten ungewöhnlich schnell und effizient. Eines der ersten Hausboote, dass dran glauben muss, ist das der Schriftstellerin Ahdaf. Vor den Augen ihrer Nachbarin wird das Hausboot abgeschleppt. In wenigen Stunden muss auch sie runter: Ikhlas ist völlig durch den Wind, der Abschied der Nachbarinnen fällt besonders schwer. "Ich glaube, so fühlt es sich an, wenn man unter Schock steht", sagt Ahdaf Soueif. Eine Kompensation werden die Frauen wohl nicht bekommen. Was mit den Hausbooten passiert, ist ungewiss. Nur eines ist klar. Eine Künstleroase gibt es hier nicht mehr.
Autor: Ramin Sina, ARD-Studio Kairo
Stand: 28.07.2022 14:05 Uhr
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