So., 10.12.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ägypten: Der mächtige al-Sisi
Wasserpfeife zur Beruhigung. Schwarztee gegen innere Anspannung. In seinem Café in Kairo lässt Ahmed El-Helbawy nun die Nachrichten laufen statt wie sonst üblich Fußball. Der Konflikt zwischen Israel und Gaza bewegt die Ägypter. Nur 300 Kilometer ist Gaza von Kairo entfernt. Viele haben dort Familie, auch Ahmed. Enge Verwandte seiner Frau seien getötet worden: "Meine Frau ist natürlich am Boden zerstört. Ihre Brüder, ihre Geschwister sind tot. Ihr Cousin hat seine Söhne verloren, als das Haus bombardiert wurde. Möge Allah diese Krise beenden und ihnen helfen."
Die Entscheidung von Präsident Sisi an der Grenze Rafah nur Verletzte und Doppelstaatsbürger aus Gaza aufzunehmen, sei richtig und wichtig, meint Ahmed. Für die Sicherheit Ägyptens und die Interessen der Palästinenser: "Vertrieben aus ihrer Heimat würde die palästinensische Sache vergessen werden und wir hätten den Krieg hier auf der Sinai-Halbinsel. Sisi muss sein Land, seine Einwohner, seine Grenzen beschützen. Und das an unterschiedlichen Fronten. Es gibt ja noch die Konflikte in Libyen und Sudan."
Ein politischer Gegner, den viele fürchten
In der politischen Landschaft Ägyptens strahlt seit zehn Jahren nur einer: Sisi. Der frühere General und das Militär regieren über 106 Millionen Einwohner:innen mit eiserner Hand. Von Stabilität sprechen seine Unterstützer, von gnadenloser Verfolgung seine Gegner. Offen Kritik zu äußern, trauen sich nur wenige. Auch Samah hält sich mit politischen Aussagen zurück. Auberginen, Pommes, Gemüse, alles muss vorbereitet werden. Sie und ihr Essensstand sind eine Institution im Viertel. Sie achtet auf faire Preise. "Ein Sandwich verkaufe ich jetzt für sechs Pfund. Ich musste die Preise anheben, einfach weil die Kartoffelpreise auch gestiegen sind. Früher war es billiger, aber was soll ich machen, auch ich muss die Preise anpassen", erzählt sie. "Andere Gerichte sind viel, viel teurer. Gemüse, Fleisch, Kebab und Köfta. Die Preise sind durch die Decke gegangen", sagt Hussein.
Preise auf Rekordniveau. Dagegen hat das ägyptische Pfund um die Hälfte an Wert verloren in einem Jahr. Obst, Gemüse, ja sogar Eier sind in Kairo mittlerweile Luxus. Kund:innen müssen abwägen, ob sie sich ein paar Eier noch leisten können. Und Sisi? Hat sich eine neue Hauptstadt geleistet. Stoppen konnte den Bau keiner, Kritik an Sisi gefährlich. Wo in Kairo einst Oppositionsarbeit gemacht wurde, hängt heute das Konterfei des Präsidenten. Ausnahmen gibt es wenige: Rasha Ramzi arbeitete eng zusammen mit dem aussichtsreichsten Gegenkandidaten Ahmed Tantawi. Doch durch Drangsalierung und Unterdrückung, berichtet sie, sei der Oppositionspolitiker von einer Kandidatur abgehalten worden. Die Wahl sei lächerlich. "Ich wähle erst wieder, wenn es wirkliche Wahlen gibt, und nicht fake Wahlen. Jeder, der mitmacht, ist ein Schauspieler", sagt Rasha Ramzi.
Steht der Wahlausgang schon fest?
Mehrere Monate früher als erwartet wurde die Wahl in Ägypten angesetzt. Sisi wolle sie schnell hinter sich bringen, bevor die Unzufriedenheit größer werde, munkeln Beobachter wie Mohammed Zaree, Menschenrechtsaktivist und scharfer Kritiker. Im Frühherbst, sagt er, habe der Präsident gewackelt: "Es gab Demos, in Marsa Matrouh, kleine Demos hier und dort. Spätere Wahlen wären für ihn schwer gewesen, auf die eine oder andere Art. Vor allem weil man mit einer neuen Abwertung des ägyptischen Pfundes rechnet."
Den Machthaber Ägyptens zieht es in diesen Wochen auf die internationale Bühne. Auf der Weltklimakonferenz gibt sich Sisi als Umweltschützer. Im Nahostkonflikt präsentiert er sich als Vermittler zwischen Israel und Hamas. Der Grenzübergang Rafah macht Ägypten diplomatisch unersetzlich. Doppelstaatsbürgerinnen und Geiseln verlassen Gaza stets über Ägypten. Sisi habe vom Konflikt in der Grenzregion profitiert. "Die Situation in Gaza hat eine Art Einschläferung bewirkt für den Augenblick. Man schaut weniger auf die politische Situation und die Menschenrechtslage in Ägypten. Dies wird aber nur temporär so sein. Letzten Endes sind die wirklichen Probleme, weshalb die Menschen wütend sind, nicht gelöst", sagt Mohammed Zaree vom Kairo Institut für Menschrechtsstudien.
Zaree wird nicht wählen, die Wahlen boykottieren. Auch Rasha Ramzi wird keine Stimme abgeben. Verkäuferin Samah lässt sich politisch nicht in die Karten schauen. An wen die Stimme des Cafébesitzers Ahmed El-Helbawy geht, weiß dagegen die ganze Nachbarschaft. Und auch wer die Wahl gewinnen wird, scheint angesichts von nur drei aussichtlosen Gegenkandidaten klar. Der Alte wird wohl wieder der Neue.
Autor: Ramin Sina / ARD Kairo
Stand: 10.12.2023 20:22 Uhr
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