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Ukraine: Frauen an der Front

Ukraine: Frauen an der Front | Bild: WDR

Zielen mit einem Mosin Gewehr. Olena hatte noch nie ein Gewehr in der Hand. Heute zum ersten Mal. "Das ist ja schwerer als meine Katze", sagt sie. Noch ist das alles etwas ungelenk. Doch bei diesem Training lernen die Frauen Hemmschwellen abzubauen und den Umgang mit Waffen. "Ich wollte eigentlich überhaupt nie eine Waffe in die Hand nehmen, aber ich muss, um mich schützen zu können, denn wer weiß, wie lange dieser Krieg noch tobt. Ich will es nicht, aber ich muss", erzählt Olena.

Darina legt einer Frau Bodyarmour an. Sie nennen sich Walküren der Ukraine. Jedes Wochenende trainieren sie in den Wäldern rund um Kyiv. Und es werden immer mehr Frauen, die sich zum Training melden, erklärt Darina, die Begründerin dieser Gruppe: "Schaut hier – der Munitionsgurt muss an dir liegen wie eine zweite Haut." "Ich möchte lernen, mich selbst zu verteidigen. Ich will mehr über Waffen erfahren", sagt Marianna. Und so versucht Darina Ängste abzubauen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Sie will verhindern, dass ukrainische Frauen völlig schutzlos den Besatzern ausgeliefert sind, so wie in Irpin, Butcha und Mariupol: "Schaut, beim Rausnehmen der Patronen helfen die langen Nägel sogar. Nun, es ist klar, dass eine Frau an der Front, beim Einsatz, da brauchst sie kurze Nägel, aber hier ist das völlig ok."

Die meisten Frauen sind begeistert. "Ich wünsche mir eine Kalashnikov zu Weihnachten. Was soll's, mein Großvater war Jäger", sagt Olenka.

Frauen aus unterschiedlichsten Lebenslagen melden sich als Soldatinnen

Ukraine: Ukrainische Frauen werden an Waffen ausgebildet.
Ukraine: Ukrainische Frauen werden an Waffen ausgebildet. | Bild: WDR

Die Fortgeschrittenen lernen den Häuserkämpf. Fast jedes Wochenende melden sich Frauen aus ihren Kursen beim Militär. Längst ist ihnen klar, dass sich der Krieg hinziehe und viele der Männer erschöpft seien, nach den langen Monaten an der Front, meint Darina. Viele Frauen wollen Verantwortung übernehmen: "Das sind Frauen aus den unterschiedlichsten Berufen: Hausfrauen, Lehrerinnen, Ärztinnen, einer gehört ein Schönheitssalon und eine andere betreibt einen Sexshop."

Eine von ihnen die 32-jährige Olya. Sie ist Mitglied einer Einheit von Scharfschützen. Hier beim Einsatz rund um Kreminna, bei Severe Doensk an der sogenannten Ostfront. Bilder von ihrer GoPro. Nach Wochen bekommen wir die Genehmigung für ein Interview. Da hat Olya Erfahrungen an der Front gemacht: "Anfangs denkst du, die Männer werden sich bestimmt, freuen, dass du als Frau dazu stößt, doch das war überhaupt nicht so. Kein Respekt. Sie waren alle abweisend und skeptisch."

Olya muss sich behaupten. Beweisen, dass sie genauso belastbar ist wie ihre Kameraden. Olya ist sportlich und entpuppt sich als gute Schützin. Erst auf dem Schlachtfeld nehmen sie Olya als gleichwertig wahr. Jüngere Kommandeure helfen ihr. "Nachdem wir dann sechs Monate zusammen an der Front waren, wussten meine Kameraden, dass sie sich auf mich verlassen konnten. Sie wussten dass ich ein vollwertiges Mitglied der Brigade bin", erzählt sie.

Olya und ihre Brigade geraten immer wieder in lebensbedrohliche Situationen. "Im Kampf standen wir plötzlich alle da und es ging nur noch darum, uns gegenseitig zu schützen. Die ganzen Vorurteile waren plötzlich alle weg. Da war nur die Angst zu überleben." Bei einem der Gefecht in der Nähe von Kreminna wird Olya verletzt. Mit letzter Kraft schleppen ihre Kameraden sie von der Front. Einsätze wie die haben sie und ihre Team zusammengeschweißt. "Plötzlich flog alles um uns herum durch die Luft. Die Erde bebete. Exlosionen. Die Russen machten Jagd auf uns. Ich war sicher, dass unser Quartier getroffen wird. Und meine Muskeln wurden steif."

Immer mehr Frauen wollen ihr Land verteidigen

Ukraine: Etwa 5000 ukrainische Frauen sollen schon an der Front gekämpft haben.
Ukraine: Etwa 5000 ukrainische Frauen sollen schon an der Front gekämpft haben. | Bild: WDR

Olya hat sich von ihren Verletzungen erholt. Sie ist nun auf dem Weg zurück zu ihrer Brigade. Jetzt, wo klar ist, dass sich der Krieg hinziehen wird, werden sie gar nicht umhin kommen, mehr Frauen an die Front zu schicken. Davon ist Olya überzeugt. Viele der Männer seien ausgemergelt. "Sie müssen den Männern die Hoffnung geben, dass sie sich ausruhen können. Dass sie runter kommen können von dem Stress, der Angst, der Panik. Verarbeiten können, dass viele deiner Freunde sterben oder leiden."

Und beim Training in Kiew hat sich eine weitere Frau entschieden zur Armee zu gehen. Seit Monaten trainiert Anna hier jedes Wochenende. Ihr Entschluss steht fest, sie will sich einberufen lassen. "Es werden immer mehr Frauen. Denn das ist die Realität. Jeder versteht mittlerweile, dass dieser Krieg leider nicht bald enden wird. Deshalb müssen Frauen und auch Männer verstehen, dass die Soldaten, die da sind, Erholung brauchen. Und du musst dich fragen, wenn nicht ich, wer dann?", sagt sie.

Und so wollen immer mehr Ukrainerinnen aktiv mit der Waffe für die Zukunft ihres Landes kämpfen.

Autorin: Birgit Virnich / ARD Kiew

Stand: 10.12.2023 20:23 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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