Mo., 20.08.18 | 05:00 Uhr
Das Erste
Ägypten: Kairo baut sich neu
Wer aus dem Moloch Kairo Richtung Osten, Richtung Wüste fährt, sieht nach etwa 50 Kilometern die Silhouette einer neuen Moschee. Ein gigantisches Bauwerk am Eingang zur neuen Hauptstadt. Kairo erfindet sich gerade neu. 40 Milliarden Euro werden investiert, um eine Retortenstadt zu bauen nach dem Vorbild der Hightech-Städte im Golf.
In einigen Jahren sollen die ägyptische Regierung, die Botschaften, die Behörden und ein Teil der Stadt-Bevölkerung umziehen und so das völlig zugebaute und in Verkehr und Müll erstickende alte Kairo vergessen machen. ARD-Korrespondent Daniel Hechler (ARD-Studio Kairo) hat sich neu und alt angeschaut und fragt nach: Entsteht da mehr als ein Prestigeprojekt und was hat die Mehrheit der Menschen im Land davon?
Vom Osten Kairos sind es 50 Kilometer. Durch Sandwüste bei sengenden Temperaturen. Am Horizont die Silhouette der neuen Moschee. Der größten Ägyptens. Mit vier gewaltigen Minaretten und einer riesigen Kuppel. Ein gigantisches Bauwerk am Eingang zur neuen Hauptstadt. Einer Stadt der Superlative. Aus dem Nichts entstehen Wohnblöcke für bis zu sechs Millionen Menschen. Investoren wittern das ganz große Geld. Mohamed Khamis und seine Mitstreiter wollen einige Millionen in die Hand nehmen für Stadthäuser, Villen, Büros auf Wüstensand. Unweit der neuen Kirche, der größten des Mittleren Ostens. Ungläubiges Staunen auf ihrer Tour durch die neue Hauptstadt. "Das ist ja wirklich ein riesiges Projekt, enorm, sehr, sehr gross!", schwärmt der Investor Mohamed Khamis. Groß, smart, sauber und staufrei. 40 Milliarden Euro soll "New Capital" kosten. Stippvisite in ihrem Herzen: Hier entstehen das neue Parlament, der Präsidentenpalast, 36 Ministerien, Botschaften. Schon im nächsten Jahr soll der Regierungsumzug beginnen. "Es ist offensichtlich, dass das Projekt größer ist, als wir uns das vorstellen konnten", sagt Mohamed Khamis." Die Menschen müssen die gesamte Dimension erst noch verstehen lernen."
Keine Perspektiven in Kairo
Es ist das Gegenmodell zur alten Hauptstadt. Kairo platzt aus allen Nähten. Fast 20 Millionen Einwohner. Megastaus. Smog. Chaos. Die Infrastruktur zerfällt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Millionen leben im Schmutz ohne Perspektive. Karim Fathy ist einer von ihnen. Auf dieser Müllkippe sammelt er Plastikflaschen. Etwa drei Euro verdient der 28jährige damit pro Tag. Das reicht knapp zum Überleben. "Natürlich ist diese Arbeit nicht gut für meine Gesundheit. Aber wer sonst soll meine Familie ernähren? Ich muss ja irgendetwas machen." Karim lebt in Esbet Khairallah (Cheralla), einem Slum mitten in Kairo. "Volksrepublik China" nennen sie das Viertel, weil es so hoffnungslos überbevölkert und heruntergekommen ist. Baufällige Häuser. Marode Kanalisation. Übler Geruch. Fathy zahlt hier 20 Euro Miete für zwei Zimmer, Küche, Bad. Billig immerhin. Wenn auch sehr schlicht. Bleibt gerade noch Geld für eine warme Mahlzeit am Tag. Nicht aber für eine gute Ausbildung der Kinder. Um deren Zukunft ist es schlecht bestellt hier. "Es wäre sehr schön, wenn wir von hier wegziehen, ein saubereres Zuhause finden könnten, sauberer als hier, eine Arbeit, eine Schule für die Kinder. Denn hier gibt es ja nichts."
Wohin aber mit den Menschen aus den Elendsvierteln Kairos? Asmarat ist eine Antwort der Regierung auf dieses brennende Problem. Eine Retortenstadt in einem Randbezirk. In gerade einmal 18 Monaten aus dem Boden gestampft. Das immer gleiche Design. Derselbe Zuschnitt. Wohnungen für gut 10.000 Familien aus ärmsten Verhältnissen. Die Blöcke heißen Juwel, Jasmin oder Paradies. Drei Grundschulen gibt es. Zwei Supermärkte. Ansonsten kaum Geschäfte, nur wenige Jobs. Mohamed El Sayed zog mit seiner Familie im Juli aus dem Zentrum Kairos hierher. Sein Haus wurde abgerissen, musste einem schicken Neubau weichen. In Asmarat hat ihm die Regierung eine günstige Wohnung angeboten. Über 30 Jahre muss er den Kredit nun abstottern. So wie die meisten hier. Seinen Job als Kassierer hat der 49jährige aufgeben. Die Fahrt in sein altes Viertel dauert eineinhalb Stunden. Nun arbeitet er hier gelegentlich als Anstreicher. "Wir waren mitten in der Stadt. Jetzt sind wir in einem Vorort. Es macht schon einen riesen Unterschied, ob man am Fluss oder in der Wüste lebt."
Sterilität statt Flair im Neubau
Die neue Wohnung mag sauber und modern sein. Für eine Großfamilie aber auch denkbar eng. Eigene Möbel durften sie nicht mitbringen. Es herrscht Sterilität statt Flair. "Früher saß ich mit meinen Freunden in Cafes um die Ecke. Hier gibt es das nicht. Jeder ist auf sich allein gestellt. Um ein Fußballspiel in einem Cafe anzuschauen, muss ich raus aus dem Viertel." Retortenstädte für arm und reich. Die Vision der Regierung für das Ägypten von morgen. Als virtuelle Animation hübsch anzuschauen. In der Realität ernüchternd. Die neue Hauptstadt mit all ihren prestigeträchtigen Megaprojekten mag Investoren wie Mohamed Khamis sagenhafte Renditen bescheren. Was aber hat die Mehrheit der Menschen im Land davon? "Ich denke nicht, dass es dort Wohnungen für Menschen mit begrenztem Einkommen gibt. Wir helfen diesen Leuten, indem wir ihre Häuser wieder herrichten. Sie ziehen ja nicht gerne aus ihren Vierteln weg, in denen sie leben und aufgewachsen sind. Das sieht man ja auch am Beispiel Asmarat." Da mag er Recht haben. Mohamed el Sayed wäre gerne in der Innenstadt geblieben. Kleinere Renovierungsarbeiten hätten ihm gereicht. Doch die Regierung setzt auf Abriss und Neubau. Nicht wenige fallen da hinten runter.
Stand: 27.08.2019 06:43 Uhr
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