Mo., 31.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ägypten: Die Wut der Tuktuk-Fahrer
Mit Spitzhacke auf Arbeitssuche. Jeden Morgen nimmt Mohammed Mabrouk ein Tuk Tuk – aus seinem Slum zum Arbeitsstrich. Mit dabei die Ungewissheit, ob er heute überhaupt Geld nach Hause bringt, ob er seine Familie ernähren kann: "Ich verdiene am Tag fünf Euro. Das ist zu wenig. Eigentlich macht es keinen Sinn, sich für diesen Hungerlohn anzustellen."
An einer Hauptstraße reiht er sich ein – in die Riege der Tagelöhner. Sie suchen Arbeit auf dem Bau, die es immer seltener gibt. In einer guten Woche arbeitet Mohammed gerade mal an zwei Tagen.
Während wir drehen, bricht plötzlich Streit aus, aus dem Nichts. Offenbar ein nichtiger Grund, dennoch liegen sofort die Nerven blank. Die Wut in Ägypten – sie ist allgegenwärtig wenn auch nicht immer auf den ersten Blick. Die meisten Ägypter lebten schon immer arm, jetzt aber steuere der Staat auf eine Pleite zu, warnen Experten wie Mustafa Kamel Al Sayed, Politikwissenschaftler von der Universität Kairo: "Die Regierung hat nicht genügend Geldreserven, um unsere überlebenswichtigen Importe zu finanzieren. Wir haben ein kritisches Niveau erreicht. Die Dollar-Reserven der Zentralbank sind auf einem gefährlichen Tiefststand. Es ist ernst."
Ein Grund: Die Touristen bleiben aus. Verwaiste ägyptische Tempel und Grabkammern. Wenige Ausländer kommen seit Beginn des Arabischen Frühlings. Noch weniger seit den Anschlägen der Terrormiliz IS auf dem Sinai. Das spüren sie auch auf dem Basar von Kairo. Die goldenen Zeiten: längst vorbei. Den Händlern sieht man die Wut nicht sofort an darüber, dass Ausländer und damit Devisen ausbleiben: "Die Menschen denken, dass Ägypten nicht sicher ist. Aber wir haben doch Sicherheit. Es gibt keine Probleme. Schaut doch auf der Straße: Wird man hier beschimpft oder angemacht? Nein, das gibt es nicht."
Zurück in Esbet Hajralla – dem Slum von Mohammed. Niemand kam, um ihm Arbeit zu geben. Ein verlorener Tag. Wieder mal. Früher war das anders, sagt Mohammed. Vor fünf Jahren da reichte sein Einkommen locker, um die Familie zu ernähren. Heute quälen ihn immer dieselben Fragen: Wie bezahle ich Essen und Schulbücher für die Kinder, wie deren Kleidung?
Zusammen mit seiner Frau hat er sich verschuldet. Und sie müssen sich immer mehr Geld leihen, um Miete und Lebensmittel zahlen zu können. Ein Teufelskreis und ein Schicksal das sie mit immer mehr Ägyptern teilen.
Mohammed Mabrouk: "Wir Armen spüren als Erste, wie kaputt unser Land ist. Weil es bergab geht, kriegen sich die Menschen in die Haare. Es kann passieren, dass jemand einen anderen umbringt – und das nur wegen eines Pfunds. Wir sind einfach bitterarm."
In dieser winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung leben sie seit wenigen Tagen, weil die Miete der alten Wohnung immer teurer wurde, zuletzt 85 Euro im Monat. Ihre Möbel mussten sie bereits verkaufen. Das hier ist so gut wie alles, was sie noch besitzen.
Wenn Mohammed aus dem Fenster schaut, sieht er die Ziegen des Nachbarn. In ihrem Viertel lebt so gut wie jeder unter der Armutsgrenze. Dementsprechend groß die Wut. Einem von hier, einem Tuk Tuk Fahrer namens Mostafa, ist jetzt der Kragen geplatzt. Sein Internetinterview über den Zustand Ägyptens wurde mehr als sechs Millionen Mal geklickt: "Warum gibt es noch immer Ägypter, die ungebildet sind, Hunger haben, denen es gesundheitlich schlecht geht? Und gleichzeitig zieht die Regierung irgendwelche Prestigeprojekte durch? Wir fahren gegen die Wand. Wir brauchen drei Sachen: Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft. Wenn der Staat uns endlich das gibt, kann uns nur Gott aufhalten."
Mit uns reden will Mostafa nicht – sein Internetruhm ist ihm mittlerweile unheimlich. Aber unter seinen Kollegen gilt er als Held. Denn bei allen ist die Wut immer mit an Bord.
Tuk Tuk-Fahrer Ahmed Ali: "So wie Mostafa habe auch ich keine Ahnung von Wirtschaft. Aber ich weiß, dass täglich alles teurer wird. Gleichzeitig verdiene ich das Gleiche wie früher, oft sogar weniger."
Es ist die schwerste Krise seit Jahrzehnten. In einem Jahr sind die Preise um die Hälfte gestiegen. Doch das Schlimmste kommt noch. Sollte der Staat, wie angekündigt, Subventionen streichen für Benzin und Strom – vielleicht auch für Brot. Wenn dann alles noch teurer wird, sagt uns Mohammed, dann bleibe ihm nichts anderes übrig, dann müsse er stehlen, um seine Familie zu ernähren.
Autor: Matthias Ebert, ARD Kairo
Stand: 13.07.2019 03:20 Uhr
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