Mo., 31.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Japan: Wie rettet man Dörfer vor dem Aussterben?
Dichte Wälder, leuchtende Felder, glasklares Wasser: Es ist schön in Tsukigi, Südjapan. Doch das Dorf ächzt, es leidet unter dem Alter seiner Bewohner: Schon 80 Prozent sind über 65. Tsukigi droht auszusterben.
Familien mit Kindern gibt es nicht, bis auf eine: Hideto Ueji, 43, lebt mit Frau und drei Kindern hier, sie sind zugezogen. Ueji arbeitet als Dorfretter in Tsukigi, der Staat bezahlt ihn dafür: "Reis ist immer ein Thema, die Reiskultur ist sehr wichtig. Und nur, wer selber anbaut, kann auch mitreden. Sonst stehst Du bloß daneben und sagst: 'Oh, das ist aber viel Arbeit'. Ich weiß jetzt, wie aufwändig das ist."
Das Korn war Ueji anfangs so fremd wie den Bauern die Juristerei – sein Studienfach. Nun pachtet er zwei kleine Parzellen, Bioanbau mit Enten als Schädlingsvernichtern. Die Felder gehören Frau Kurogi. Die alleinstehende Witwe ist mit jetzt 83 zu gebrechlich für den Acker: "Hier in den Bergen gibt es keine jungen Leute mehr, nur noch alte. Es gibt ja keine Arbeit, die Jungen gehen dann weg, und die Alten sterben. Herr Ueji ist sehr freundlich. Er macht alles, wenn man ihn bittet. Er ist so beschäftigt."
Denn ein japanischer Dorfretter kümmert sich um alles: Hält den Betrieb am Laufen, unterstützt die Senioren, entwickelt Ideen für Einnahmen, Arbeitsplätze, Neuankömmlinge. 70-Stunden-Woche, 3500 Euro im Monat. Ueji sagt, er habe keinen Stress. Ein Städter im Abenteuerland - Ueji rennt.
Des Dorfretters Einsatzzentrale: Ein kleines Häuschen von der Stange. Das Heim stellt die zuständige Gemeinde: fünf Personen, 57 Quadratmeter. Mio, die älteste Tochter, klagt, ihr fehlten gleichaltrige Spielkameraden, und Ueji sei nie da: "Wenn ich mich allein beschäftigen muss, dann mit einem Brettspiel oder so. Papa sagt, sonntags hätte er Zeit. Wir basteln dann, aber immer kommt was dazwischen." Und da ruft auch schon wieder die Arbeit.
Dank Mio hat die Schule wieder auf. Sieben Jahre war die zu, keine Kinder. Sie bekommt jetzt Einzelunterricht, wie eine Prinzessin. Doch das bisschen Leben freut die Dorfbewohner schon.
Uejis Rettungsplan: Geschäftsmodell Gemüse. Ein Vitaminstoß fürs Dorf: Paprika, Bittergurke, Frühlingszwiebeln. Ueji sammelt ein, was Kochtöpfen entkommt und verkauft es. Seine Vision: Eine Marke – "Biogemüse aus Tsukigi". Nicht alle im Dorf sind überzeugt. Aber manche schon. Frau Kurogi freut sich: "Mir macht es Mut, wenn meine Ernte in den Verkauf geht. Ich wünsche ihm viel Erfolg."
Gemüseexpress nach Fukuoka. Mit an Bord: zwei motivierte Damen aus Tsukigi. Südjapans Metropole liegt vier Autostunden entfernt. Uejis Kalkül: Die Ware hier zu verkaufen, sei für Tsukigi die beste Werbung. Die Rechnung geht auf, Gemüseschlacht. Ueji fühlt sich willkommen: "Es gibt hier viel Lob von unseren Kunden. Das nehme ich gern mit. Und die beiden Verkäuferinnen auch. So helfen wir mit, Tsukigi wiederzubeleben. Das ist wichtig. Es geht nicht um Umsatz."
Als er nach Hause kommt, ist der Tag rum. Jetzt noch Kassensturz. Uejis Ziel: Vakuumverpackte Bio-Spezialitäten, versandfertig für ganz Japan. Damit ließen sich Arbeitsplätze schaffen.
Seniorentreff, und Ueji singt. Will er Tsukigi retten, dann muss er sich beeilen. 1500 Einwohner hatte es mal, jetzt sind es noch 127. - Japans Zukunft ist alt.
Autor: Uwe Schwering, ARD Tokio
Stand: 13.07.2019 03:20 Uhr
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