So., 03.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Äthiopien: Hoffnung nach jahrelanger Unterdrückung
Das erste Mal wurde Urgessa Kumra mit 14 Jahren verhaftet, direkt aus dem Klassenzimmer heraus. Jetzt ist er 28 Jahre alt, 12 Jahre davon verbrachte er im Gefängnis, weil er gegen das Regime protestierte. Er gehört den Oromo an, der größten Volksgruppe im Vielvölkerstaat Äthiopien. Die politische Teilnahme wurde ihnen in den vergangenen Jahren verweigert, häufig auch gewaltsam.
Vor knapp einem Jahr wurde dann überraschend Abiy Ahmed zum Ministerpräsidenten. Er steht für Ausgleich im Land und mit dem Erzfeind Eritrea. Und er ist ein Oromo. Seitdem keimt die Hoffnung auch bei Urgessa Kumra.
Caroline Hoffmann, ARD Nairobi
Hausarbeit früh am Morgen. Für Urgessa Kumra ist das selbstverständlich. Der 28-Jährige hat seiner Mutter sogar ein Haus gebaut – und jetzt kümmert er sich um sie. Jeden Tag seitdem der junge Oromo im letzten Sommer aus dem Gefängnis kam. "Nach all den Schlägen fühle ich mich wie ein 80-Jähriger. Wenn ich an das Gefängnis zurückdenke und die Folter dort, Freunde haben ihr Leben verloren oder ihre Gliedmaßen. Ich habe Glück gehabt, dass ich es überlebt habe."
"Ein Oromo war immer verdächtig"
Jeden Morgen frühstücken sie jetzt zusammen. Insgesamt 12 Jahre saß Urgessa im Gefängnis, erzählt er. Das erste Mal wurde er mit 14 Jahren festgenommen. Mitten im Unterricht. Seine Mutter verlor darüber den Verstand. "Ich kann es immer noch nicht glauben", sagt Lelo Megersa, "dass er jetzt hier ist. Bei mir. Ich bin verrückt geworden, ich war verwirrt. Ich bin als Mensch geboren, aber ich endete als ein betrunkener Hund."
Es hatte in seiner Stadt Proteste gegeben, gegen die Regierung, und Urgessa war mit dabei. Dann starben zwei Studenten und er wurde festgenommen. Er hätte nichts damit zu tun gehabt, beteuert er. Aber für ihn fing damit eine lange Leidenszeit im Gefängnis an: "Ich habe immer Rückenschmerzen und einen Zahn verloren. Sie haben mich gefoltert. An den Füßen aufgehängt und dann auf meine Füße geschlagen. Sie nahmen Eisenstangen und schlugen mich auf die Schienbeine, davon sind die Narben."
"Die Tatsache, dass Du Oromo bist, macht Dich nicht automatisch politisch aktiv, sagt er, aber Du begreifst schnell, dass für Dich nicht alle Menschenrechte gelten. Egal welche Ethnie Du bist, wenn Du bemerkst, dass Du keine Rechte hast, dass politisiert Dich. Definitiv."
Der neue Regierungschef: einer von ihnen
Ambo ist eine Studentenstadt. Hier war eine der Protesthochburgen gegen das alte Regime. Trotz aller Repressalien ließen sie sich in Ambo nicht einschüchtern. Dann kam der Umschwung. Vor fast genau einem Jahr. Premierminister wurde Abiy Ahmed. Ein Oromo – einer von ihnen! Damit hatte niemand gerechnet. Und er führte einen neuen gemäßigten Kurs ein: Im ganzen Land wird er gefeiert – sogar mit bedruckten T-Shirts – wie ein Popstar! Kann er die Oromo endlich befreien und ihnen zu ihren Rechten verhelfen?
Leid schlägt langsam in Hoffnung um. Auch bei Urgessa. Jetzt hat er die Kraft für einen schwierigen Weg. Zum ersten Mal besucht er die Frau seines Freundes Abdata, der im Gefängnis starb. Bisher hatte Urgessa sich nicht getraut. Denn er kommt mit leeren Händen. Er hat kein Geld, kann ihr und ihrem kleinen Sohn nicht helfen. Sie muss allein zurechtkommen. Doch auch sie hofft auf die neue Politik im Land.
"Ich wünschte Abdata könnte für einen Tag aus dem Grab kommen und sehen, dass unsere Oromo-Partei jetzt legal im Land ist", sagt Chaltu Bizuneh. "Und dann könnte er sich wieder zur Ruhe legen. Viele Menschen wurden aus den Gefängnissen freigelassen. Auch wenn sie ihnen Knochen gebrochen haben, dass sie frei sind, macht mich glücklich." Wenn nur ihr Mann das noch erleben könnte!
Hoffnung. Auch auf Entwicklung. Denn die ganze Region hinkt hinterher. Nur die Hauptstraßen sind richtig geteert, daran liegen die Geschäfte und Kaffees. Während das Land ein Wirtschaftswachstum von fast 10 % verzeichnet, fehlt es hier an Industrie und funktionierender Infrastruktur. Sie hoffen, dass der neue Premier auch das verändert. Und, dass er Arbeitsplätze schafft. Für die Jugend. Und auch diejenigen, die im Gefängnis saßen.
Heute: Studium statt Proteste
So wie Hirpassa Diriirsa. "Ich fühle mich schlecht, sagt er, ich finde keine Arbeit und ohne Arbeit kann man nicht leben. Ich muss für mich selbst sorgen können." Hirpassa kommt vom Land. Seine Eltern haben einen Hof und Äcker. Lange war auch solches Eigentum nicht vor der Regierung sicher. Sie nahm es vielen Oromo immer wieder einfach weg, z.B. um darauf zu bauen. Auch dagegen haben Hirpassa und die anderen protestiert. Sein Vater ist stolz, dass die jungen Männer sich gewehrt haben. "Wir sind sehr glücklich", sagt Hirpassas Vater Diriirsa Tolasa, "dass die Qeerroo, unsere jungen Leute, für ihre Rechte kämpfen können."
Es sind neue Zeiten, im Moment haben sie an der Rift Valley Universität nicht mehr das Gefühl, protestieren zu müssen. Die vielen Studenten konzentrieren sich jetzt vor allem auf ihren Unterricht. Auch Urgessa studiert hier. Heute sitzt er im Computerkurs. "In der Vergangenheit habe ich um meine Rechte gerungen, jetzt habe ich eine neue Herausforderung. Mein Studium." Und der unbedingte Wille im neuen Äthiopien einen Job zu finden, und endlich auch mitwirken zu können. "Unser Land steht an einem Scheideweg", sagt er. Eine Straße führt zu echter dauerhafter Veränderung. Die andere wieder zurück zu unserer Unterdrückung." Sie alle hoffen, dass die Veränderung sich durchsetzt.
Stand: 03.03.2019 21:53 Uhr
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