So., 03.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ägypten: Eheberatung auf Islamisch
Tuqa und Achmed sind verliebt. Das ist auf der einen Seite sehr schön auf der anderen sehr herausfordernd. Denn vor der Heirat dürfen Strenggläubige, wie Ahmed und Tuqa, nicht zusammenziehen. Das schreibt der Islam vor. Es gibt also keinen Testlauf. Eine Wohnung haben sie gekauft, bis zur Hochzeit wollen und sollen sie eingerichtet sein. "Wir stehen wirklich unter Druck", sagt Tuqa. "Wir müssen schauen was noch fehlt und was erledigt ist." Und Ahmed meint: "Da kommt immer was Neues dazu. Immer was Neues. Zeit? Wir haben nicht viel Zeit."
Eheberatung auf Augenhöhe
So bleibt auch nicht viel Zeit für die Frage, wie überhaupt eine Ehe funktioniert. Aufgeregt sind sie. Sich freuen, ja das tun sie auch, aber mögliche Klippen einer Beziehung wollen sie in den Griff bekommen. Deshalb fahren Tuqa und Ahmed zum einflussreichen Fatwa-Amt. Es ist der moralische Kompass der Mehrheit der Sunniten. Ahmed und Tuqa sind gespannt, was da auf sie zukommt.
Scheich Amr ist ein Star unter den Fatwa-Theologen. Er berät junge Menschen, die heiraten wollen, mit Theologie, Menschenkenntnis und Humor. "Ich habe da mal eine Frage", sagt der Scheich verschmitzt. "Wer ist leidensfähiger? Der Mann oder die Frau? Wer glaubt es sei der Mann, der hebe die Hand."… "Aha, nur die Männer heben die Hand, nicht eine Frau."
Soviel Spaß im ehrwürdigen Fatwa-Amt ist ungewöhnlich. Ein Theologe, der nicht nur predigt, sondern berät – fast auf Augenhöhe. Und dann übergibt er sogar noch an eine Frau und Nicht-Theologin. Rasha ist Paartherapeutin. Psychologie im Fatwa-Amt ist für die muslimische Welt ein ungewöhnlich moderner, aufgeklärter Ansatz. "Was ich nicht wusste", meint Tuqa, "dass Glück eine Entscheidung ist. Wenn ich glücklich sein will, muss ich mich entscheiden und die Herausforderungen annehmen." Scheich Amr organisiert Kurse, damit Paare auch verstehen lernen, ob sie überhaupt zueinander passen. Bei manchen hatte dies zur Folge, dass sie nicht mehr heiraten wollten.
Verstehen statt Unterdrückung
Bei Mahmoud dagegen hat es funktioniert. Mahmoud war mit seiner Frau Amina bei Scheich Amr im Eheberatungskurs. Sie sind seit neun Monaten verheiratet. Zusammen führen sie eine kleine Farm. Scheich Amr will wissen, was aus ihrer Sicht die entscheidende Erkenntnis war. "Ich habe im Kurs gelernt", erzählt Amina, dass ich nicht von gewissen Dingen ausgehen darf, zum Beispiel dass der Mann dominiert und die Frau sich fügen muss. Es geht nicht um Unterdrückung, sondern um Verstehen." Und Mahmoud sagt: "Zu akzeptieren, dass der andere eine andere Meinung hat und anders denkt, das macht das Leben leichter."
Dass der andere anders ist, die Frau, der Christ, der Fremde, dass man nicht versucht den anderen zu verändern, anzupassen, zu unterdrücken. Das ist Scheich Amrs aufgeklärter, moderner Ansatz, der von Ultra- Konservativen als Verrat an der Religion angesehen wird. Doch das einflussreiche Fatwa-Amt in Kairo öffnet sich. Auch gegenüber der Wissenschaft. Was lange Zeit undenkbar war.
"Soziologie ist in der Religion tief verankert", sagt Scheich Amr, "auch die Psychologie. In der Religion sind drei Dinge sehr wichtig. Man muss den Text verstehen, die religiösen Werte, um die Realität zu erfassen und wie man diesen Text auf die Realität anwendet. Ohne diese Wissenschaften können wir die Realität nicht erfassen und auch die Religion nicht auf die Realität anwenden."
Wichtig sind aber auch die Möbel
Tuqa und Ahmed kommen aus dem Staunen nicht heraus. Auf dem Stundenplan des Fatwa-Amtes stehen nicht nur Sexualkundeunterricht und Familienplanung, sondern auch Innenarchitektur. "Wir wollen das alles umsetzen, was sie uns gesagt hat", meint Tuqa. "Ich finde es sehr gut" sagt Ahmed. "Das Religiöse ist sehr wichtig, das Spirituelle. Und die Innenarchitektur."
Mit dieser Erkenntnis ziehen die beiden gleich wieder los und treffen sich mit der Innenarchitektin Jasim aus dem Fatwa-Amt im Möbelladen Eklego, der für seine schlichte klare Linie bekannt ist. Ganz im Sinne der Innenarchitektin, die mit der arabesken Tradition zugunsten eines modernen Konzeptes bricht. Für Tuqa und Ahmed öffnet sich eine neue Perspektive. "Das Eheleben hat zwei Seiten: Es ist gut, dass das Religiöse und das Weltliche behandelt wurden", sagt Ahmed. "Am Anfang dachte ich, es würde nur um Religion gehen. Das interessiert mich auch sehr, weil es aus meiner Sicht wichtiger ist. Aber ich finde des dennoch gut, dass sie die zwei Themen zusammengebracht haben."
Und so verbindet sich die religiöse Welt mit der modernen. Auch für Tuqa und Ahmed. Ganz überraschend – ist doch das Fatwa-Amt dafür bekannt, besonders konservativ sein.
Stand: 04.03.2019 10:53 Uhr
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