So., 03.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Japan: Ferien auf dem Bauernhof in Fukushima
Acht Jahre ist die Reaktor-Katastrophe jetzt her. Die Menschen sehnen sich nach Normalität, die stellt sich aber nicht ein. Die landwirtschaftlich geprägte Region wird ihre Produkte nicht los. Jetzt steuert die Provinzverwaltung dagegen.
Ferien auf dem Bauernhof und „grüner Tourismus“ – damit versucht sie neue Verdienstmöglichkeiten zu schaffen und das Image zu verbessern. Denn jenseits der hochverstrahlten Reaktor-Ruine sei die Strahlungsbelastung im größten Teil der Provinz unbedenklich.
Ulrich Mendgen, ARD Tokio
Tauwetter im Dorf Tateiwa. Acht Jahre nach der Atomkatastrophe schlägt der 1.500-Seelen-Ort ein neues Kapitel auf. Endlich sind die Besucher da. Sie sind jung, und was noch wichtiger ist: Sie kommen aus dem Ausland. Studierende aus den USA – angelockt von einem Besuchsprogramm, sehnsüchtig erwartet. "Grüner Tourismus" solle das Glück zurückbringen in die Region – Ferien auf dem Bauernhof im Westen der Provinz Fukushima. Aufgereiht wie bei "Herzblatt" stehen die Farmerfamilien da.
"Ihre Gastgeber sind alle sehr nett", versichert der Vertreter des Tourismus-Verbandes. Auch vor radioaktiver Strahlung müsse sich hier niemand fürchten. Frau und Herr Kusunoki sind auch ganz aus dem Häuschen. Sie werden gleich zwei Amerikanerinnen beherbergen. "Mögen Sie Musik?", fragt Jermaine aus Kalifornien. Die japanischen Gasteltern verstehen kaum Englisch. "Oder tanzen Sie gern?"
Nach Jahren der Rückschläge endlich positive Nachrichten hier im Dorf. Von der Landwirtschaft können viele nicht mehr leben. Die Preise für Gemüse aus Fukushima sind ins Bodenlose gefallen. Dabei sind sie doch so weit weg vom Atomkraftwerk. Das liegt 140 Kilometer entfernt, hinter schützenden Gebirgsketten.
Noch immer strahlt das Atomkraftwerk
So weit weg, und doch so gegenwärtig. Atomkonzern Tepco gestattet dem ARD-Team eine exklusive Rundfahrt über das Gelände des havarierten Kraftwerks. Die Botschaft: Wir haben die Lage im Griff. Auf 96 Prozent des Geländes dürfen sich Besucher inzwischen in einfacher Straßenkleidung bewegen, ohne speziellen Schutz.
Doch in den Reaktorgebäuden strahlt immer noch der geschmolzene Kernbrennstoff. Mehr als 800 Tonnen hochradioaktives Material – mehr als in Tschernobyl. Tepco will es herausholen – innerhalb von 30 bis 40 Jahren. "Dieses Ziel – 30 bis 40 Jahre – basiert nicht auf genauen Daten, sondern ist eine grobe Schätzung", erklärt Hideki Yagi, Risiko-Kommunikator bei Tepco. "Um den genauen Zeitplan zu bestimmen, müssen wir noch weitere Daten sammeln."
Wie genau die Bergung gelingen soll, darüber hüllt sich Tepco in Schweigen. Es wäre eine Weltpremiere. Ebenso wie die Entsorgung des verstrahlten Wassers. Es geht um die unvorstellbare Menge von mehr als einer Million Kubikmetern. Größtenteils Grundwasser, aufgefangen in Tanks. Eines Tages, so fürchten viele, werde es vielleicht ins Meer abgelassen. Denn der Platz wird knapp, um es hier zu lagern, wohlmöglich für Generationen. Nichts ist unmöglich, will Tepco beweisen. Vor der nächsten Station des Besuchs heißt es: Schutzanzug und Atemmaske anlegen.
Zerstörte Träumen und abgebrochene Biografien
Rund um das Haus von Familie Kusunoki reicht eine Winterjacke. Keine erhöhte Strahlung, versichern sie hier. Aber Gemüse können wir nur noch verkaufen, wenn es nicht "Fukushima" im Namen trägt, erzählt der Bauer seinen Gästen. Die Erde im Garten dient immerhin noch als Kühlfach für den Rettich, den sie nur noch für den Eigenbedarf anpflanzen. "Ich will mir die ganze Sache aus der Perspektive der Menschen anschauen, die hier leben", sagt Jermaine de Cordoba. "Sie haben sicher einiges durchgemacht. Sie sollten auch ihren Teil der Geschichte erzählen."
Dieser Teil der Geschichte handelt von zerstörten Träumen und abgebrochenen Biografien überall in Fukushima, selbst dort, wo die Strahlung nicht hingelangte. "Wenn wir wollen, dass sich wieder mehr Leute hier auf dem Land niederlassen, dann müssen die auch von irgendetwas leben können", sagt Landwirt Masatsugo Kusunoki. "Deshalb brauchen wir hier unbedingt mehr ausländische Gäste, die sind uns sehr willkommen."
2011: Verzweifelter Kampf gegen die Kernschmelze
Draußen an der Küste, am Atomkraftwerk, will Tepco neue Transparenz beweisen. Der Weg führt durch ein Labyrinth von Gängen, die einst der Tsunami überflutete. Mehrfach müssen die Schuhe gewechselt werden. Eine Schutzmaßnahme gegen radioaktiven Staub. Dann öffnet sich der Kontrollraum für die Reaktoren 3 und 4. Eine Zeitreise zurück ins Jahr 2011. Verzweifelt kämpfte die Belegschaft damals gegen die Kernschmelze an. Vergeblich. "Wir sollten diesen Leuten danken für das, was sie geleistet haben", meint Joji Hara, Sprecher von Tepco. "Sie haben alles versucht, was sie konnten. Sie haben ihr Bestes gegeben." Ein Denkmal für die Hilflosigkeit jener Stunden, die bis heute das Schicksal der Region bestimmen.
Auch das von Familie Kusunoki. Früher hatten sie auch ein kleines Restaurant. Nach der Katastrophe blieben die Kunden fern – den Namen Fukushima verbindet die ganze Welt nur noch mit einem Thema. "Meine Eltern waren etwas besorgt" erzählt die Touristin Eliza Lozano, "als ich ihnen von meiner Reise erzählte. Sie dachten gleich an die Radioaktivität. Aber ich sehe, wie die Leute hier ihr Leben in die Hand nehmen. Mir hilft das, diese Sorge irgendwie abzubürsten."
Zum Abendessen kommt auch die Schwiegertochter mit den Enkelkindern. Am Tisch ist jetzt jeder Platz besetzt. Für Herrn und Frau Kusunoki fühlt sich das an wie früher. Als der Sohn mit Familie noch nebenan wohnte, bevor er wegziehen musste, um Arbeit zu finden. Weit entfernt und doch gegenwärtig. Fukushima, acht Jahre danach.
Stand: 04.03.2019 10:53 Uhr
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