Mo., 26.02.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Japan: Fukushima – Die Rückkehrer
Opa kommt immer freitags. Und holt die Jungs ab. Das Wochenende beginnt mit einer Nacht bei den Großeltern. Yoshio Kawai wohnt in Iitate. Ein Ort über den vor sieben Jahren die radioaktive Wolke zog. Der Großvater kehrte vor einem Jahr in sein Dorf zurück. Seine Kinder und Enkel folgen im April.
Leben zwischen Atommüll
"Am Anfang haben wir uns schon Sorgen gemacht wegen der Strahlung. Aber die Werte sind doch deutlich gesunken. Ich freu mich, dass wir alle bald so wie früher zusammenleben", erzählt Yoshio Kawai. Iitate liegt etwa 50 Kilometer vom Atomkraftwerk Fukushima entfernt. Das Dorf musste 2011 geräumt werden, zählte zum Sperrgebiet. Aber seit einem Jahr dürfen die Menschen zurück.
Wer sich nicht sorgen will, muss wegschauen. Die grünen Planen ignorieren. Darunter lagert abgetragene, verstrahlte Erde. Atomarer Müll. Niemand sagt, wie lange der noch hier gelagert wird. Zu Hause bei den Großeltern misst ein Gerät ständig die Strahlung. Egal, welcher Wert, sie schauen kaum noch hin.
Und beim Kochen. Woher kommen die Pilze? "Die sind aus Nagano", so Yoshio Kawai.
Also von weither. Ungefährlich. Die aus dem Wald hinter dem Haus essen sie nicht. Tomohiro, der Vater der Jungs, bleibt gelassen. Die Strahlenwerte, die neben dem Wetterbericht in der Zeitung stehen, liest er gar nicht mehr. Taichi und Yuri sind unter den ersten Kindern, die ins ehemalige Sperrgebiet zurückkehren.
"Nein, mit den Kinder diskutieren wir das nicht. Damals – direkt nach dem Erdbeben – haben sie sicher mal was mitbekommen. Aber jetzt reden wir nicht mehr darüber", sagt Tomohiro Kawai.
500 Menschen sind zurückgekehrt
Das sei am Ende das Beste, sagt ihr Vater. Die Familie ist wieder zusammen. Die Großeltern nicht allein. Der Arbeitsweg kürzer. 6000 Menschen lebten vor dem Erdbeben in Iitate. Gut 500 nur kehrten zurück. Dabei hat Japan Milliarden ausgegeben und die verstrahlte Erde abgetragen. Aber wer will schon leben zwischen Tonnen Atommüll? Die beginnt kurz vor dem Ortsausgang. Am Rande der Roten Zone.
Die Strahlenwerte im Dorf sind sind zurückgegangen. Doch vor allem die Hügel, die Wälder sind noch deutlich belastet. Mit dem Regen oder Tauwasser kann die Strahlung auch wieder ins Dorf fließen.
Das weiß auch Herr Yamada. Und trotzdem will auch er zurück nach Iitate. Mit seinen 50 Kühen. Vor sieben Jahren musste er mit den Tieren fliehen. Bezog einen Bauernhof in der Nähe. Früher fütterte er die Kühe mit Gras vom eigenen Hof. Heute kommt das Futter aus den USA.
"Die Strahlung ist das Problem. Hier in der Region Fukushima werden ja die Gräser kontrolliert. Aber erst wenn die Werte in Ordnung sind, dürfen wir sie als Futter verwenden", erzählt der Bauer Takeshi Yamada.
Altes Leben wieder aufbauen
Der Bauer freut sich auf seine Heimat. Denn nach Erdbeben und Tsunami wurde er rausgerissen. Einfach verpflanzt. Wenn jetzt der Frühling beginnt, wird hier in Iitate neu gebaut. "Zwei Ställe werden es. 20 mal 70 Meter groß", so Takeshi Yamada. Die neuen Ställe bezahlt der Staat, der sehr viel Geld nach Iitate pumpt. Nur wer zurückkommt, dem wird geholfen. "Es ist doch wichtig, dass die ersten das Licht anmachen. Damit die anderen auch ermutigt werden", sagt Takeshi Yamada.
Der Ausblick, sagt Herr Yamada, sei nicht gerade motivierend. Versuchen will er es dennoch. Eine Frage quält ihn: Wer nur soll Rindfleisch aus der Region Fukushima kaufen?
Im Rathaus verstehen sie so etwas. Auch hier haben sie die Strahlung immer im Blick. Die Zahl ist das eine sagt der Bürgermeister. Das Gefühl, die Unsicherheit das andere.
"Selbst die Meinungen all dieser Strahlenexperten sind so unterschiedlich. Dann ist es nicht zu vermeiden, dass wir normale Bürger noch mehr zweifeln", findet der Bürgermeister Norio Kanno.
Sie wollen keine Angst haben
Dabei haben sie doch so viel Geld investiert. In die neue Schule zum Beispiel, die im April eröffnet wird. 92 Kinder sind angemeldet. Auch die von Tomohiro Kawai. Er selbst arbeitet bereits wieder in Iitate. Nun kehrt die Familie zurück. Zweifeln will er daran nicht mehr. Und er glaubt auch nicht, dass seine Kinder auf die verstrahlten Hügel hinter der Schule laufen. "Ich denke, die Schule wird ihnen schon sagen, worauf sie achten müssen. Und meine Kinder spielen am liebsten drinnen."
Noch lernt sein Sohn hier. 15 Kilometer weiter entfernt. Die Schule ist eine Übergangslösung. Zusammengezimmert aus Blech. Es zieht eisig im Winter. Sie wurde gebaut für die Kinder aus den Orten, die geräumt wurden. Taichi weiß wenig darüber, was vor sieben Jahren im Atomkraftwerk Fukushima passiert ist.
In der Schule haben sie nur kurz darüber gesprochen.
"Sie erklären die Strahlung. Sprechen über den Unfall und wie ein Reaktor aufgebaut ist", erzählt Taichi Kawai.
Die Kinder leben mit höheren Strahlenwerten. Noch für Jahrzehnte. Wie lange soll ihr Leben vor allem im Haus abspielen? Daran denken die Rückkehrer noch nicht. Sie wollen keine Angst haben.
Autor: Gábor Halász / ARD Studio Tokio
Stand: 01.08.2019 06:32 Uhr
Kommentare