Mo., 26.02.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Akkordarbeit bei minus 58 Grad
Acht Uhr morgens, die Schatai-Werft in Jakutien, sechs Flugstunden nord-östlich von Moskau. Der Vorarbeiter verteilt Schiffe und Aufgaben an seine "Wuimorostschiki". Übersetzt etwa: "Die aus dem Eis ausgraben". Sie sägen Schiffsteile aus dem Eis, die repariert werden müssen.
Arbeiten bei bis zu minus 58 Grad Celsius
Wir begleiten Michail zu seinem Arbeitsplatz: Dutzenden festgefrorener Schiffe in einem Seitenkanal des Flusses Lena. Ein letzter warmer Zwischenstopp: Hier verbringen die Wuimorostschiki ihre Pausen. Mischa schleift die Kette seiner Motorsäge nach. Sie arbeiten in Zweierteams, inzwischen ist auch sein Partner Sascha eingetroffen. "Sascha kümmert sich vor allem um das Sägen", erzählt Mischa.
Bis zu minus 58 Grad Celsius war es in diesem Jahr schon, erzählt Sascha, während er die Motorsäge auffüllt. Entsprechend ist ihre Arbeitskleidung: Ein Kollege näht ihnen für ein paar Rubel dickere Sohlen unter ihre Filzstiefel. Mischas Vater war Deutscher, erzählt er uns. Auch Deutsche können diese Kälte also aushalten, scherzt er, das hat nichts mit jakutischen Genen zu tun.
"Wie kalt", fragt Sascha. "Vierzig Grad", antwortet Mischa.
Knochenjob in Eisgruben
Je kälter es ist, desto sicherer arbeiten sie in ihren Eisgruben. Denn um sie herum ist das wärmere Flusswasser. Ein Kontrolleur prüft daher regelmäßig die Dicke des Eises. "Um sicher zu stehen muss man 15 Zentimeter Eis um sich haben. Hat man 40 wie hier kann man 25 davon abtragen", berichtet der Kontrolleur. Wenn die Motorsäge durch einen Fehler das wärmere Flusswasser erreicht, läuft Ihre mühsam gegrabene Eisgrube in Minuten voll. Alles beginnt dann von vorne. Und Geld gibt es dann auch nicht.
"Das hier sind gefrorene Luftblasen. Die sind gefährlich für uns. Die können bis ins Wasser reichen. Und wenn man die ansägt kommt das Wasser dadurch hoch", erzählt Mischa.
Sascha hat eine neue Grube begonnen. Es ist ein Knochenjob. "Ich habe in diesem Winter schon sechzehn Kilo abgenommen. Da braucht´s kein Fitness-Studio", sagt Mischa.
Reparaturarbeiten nur im Winter
Sascha sägt, Mischa hackt, das ist ihre Arbeitsteilung. Ihr Ziel: Die Ruderanlage der Schiffe, die Schiffsschrauben, alles, was dringend überholt werden muss und unter der Wasserlinie liegt. Doch warum im Winter?
Die Erklärung ist einfach: Über den riesigen Strom Lena, einen der längsten der Welt, werden die entlegenen Teile Jakutiens mit Kohle, Öl und Lebensmitteln versorgt. Doch die Lena ist nur wenige Monate im Jahr schiffbar. Und diese kostbare eisfreie Zeit soll nicht mit Reparaturarbeiten vergeudet werden. Deshalb schuften sie im Winter. Und es gibt viel zu tun.
Anton verzweifelt gerade an festsitzenden Schrauben, er wird wohl einen Schweißbrenner brauchen. Das Bugsier-Schiff, auf dem er im Sommer fährt, hat seine besten Zeiten hinter sich.
Muskelkraft statt moderner Technik
"Das Schiff ist schon über 60 Jahre alt", erzählt Anton. Die Akademik Gubkin muss andere Schiffe freischleppen, erklärt uns Chef-Maschinist Alexander. Er mag das alte Schiff: Die Instrumente auf der Brücke werden gerade überholt, sie sind alt, aber zuverlässig, lobt er. "Das ist noch deutsche Bauart." Muskelkraft statt moderner Technik: Wir sind beeindruckt, mit welchem Elan die Männer hier ihre überalterte Flotte irgendwie betriebsbereit halten. Auf Investoren haben sie viele Jahre vergeblich gewartet. Jetzt hofft der Generaldirektor der Schifffahrts-Gesellschaft auf Putins ehrgeizige Arktis-Pläne.
"Ohne Erneuerung wird unsere Flotte sterben. Darum renovieren wir jetzt, um auch neue Schiffe zu bauen. Aber selbst wenn wir zehn pro Jahr schaffen: Bei einer Flotte von 350 Schiffen würde die Erneuerung 35 Jahre dauern", so Sergej Larionow von der Schifffahrtsgesellschaft.
Eine Schiffsschraube lässt sich nicht lösen: Auch der 25-Kilo-Hammer hilft nicht weiter. Die Schraube muss aber dringend überholt werden. Die Männer kämpfen weiter. Bei einem Nachbarschiff muss die Welle freigelegt werden. Wir erkennen Chef-Maschinist Alexander von der Akademik Gubkin. Offenbar arbeitet er auch als Eissäger. "Die Säge ist stumpf. Ich bin an Metall gekommen und muss wieder die Kette wechseln."
Eis sägen als Nebenverdienst
Inzwischen haben die Männer ein Feuer unter der Welle gemacht. Die Ausdehnung soll helfen, Welle und Schraube zu lösen. Es sind Bilder wie aus einem anderen Jahrhundert. Ein anderer Arbeiter erklärt, warum sie so motiviert schuften.
"Das ist ein Nebenverdienst für mich. Unser festes Gehalt beträgt dreihundert Euro pro Monat, und als Eissäger verdiene ich mir etwas dazu", erklärt Alexander.
Sascha macht Feierabend. Mischa stellt schwere Ventilatoren in ihre Eisgruben. Mit deren Hilfe wächst die Eisschicht schneller. Drei Zentimeter dickeres Eis bringt das pro Tag – sie können schneller weitersägen. Den Männern ist warm geworden beim Arbeiten, trotz minus 35 Grad. Für sie sind das milde Temperaturen...
Autor: Udo Lielischkies / ARD Studio Moskau
Stand: 01.08.2019 06:32 Uhr
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