Mo., 26.02.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Boxen für ein besseres Leben
Noch ist er nur "der Kohle-Kumpel" für den Ansager. Doch Gerald Plum kann heute zum Helden werden. Zumindest für einen Tag.
Vatersein fühlt sich wie ein Kampf an
24 Stunden vorher. Seine Lebensgeschichte soll unter die Haut gehen. Seit Stunden sitzt Gerald schon beim Tätowierer. Er hat sich für ein Motiv entschieden, das für ihn große Symbolkraft hat. "Manchmal fühlt sich Vatersein wie ein Kampf an. Ich ziehe vier Kinder alleine groß. Manchmal ist es hart als Mann für seine Rechte zu kämpfen. Und manchmal fühlt es sich so an, als sei ich schon mein ganzes Leben im Kampf", erzählt Gerald Plum.
Als erste darf Geralds Tochter Adalyn einen Blick auf die neue Tätowierung werfen. Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen. Aber immerhin können sie sich jetzt endlich auf den Weg nach Hause machen.
Hohe Arbeitslosigkeit in West Virgina
West Virginia ist ein sehr armer US-Bundesstaat. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Einst lebte man hier gut von der Kohle. Doch viele Minen haben dicht gemacht. Die Bewohner West Virginias werden im Rest Amerikas wegen der hügeligen Landschaft oft als "Hillbillys" verspottet, als Hinterwäldler. Gerald ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Er hat noch immer einen festen Job in einer Kohlemine. Dafür ist er dem Präsidenten dankbar. "Ich bin ein Trump Fan. Mein Gefühl ist, dass er die Kohleminen am Laufen hält und sie wieder boomen, volles Rohr."
Sein Helm bedeutet ihm viel. Genau wie seine Boxhandschuhe. Mit ihnen will er sich Anerkennung verschaffen. Gerald trainiert in jeder freien Minute.
"Ich habe noch nie Zwillinge gegeneinander kämpfen sehen", ruft der Ansager. "Daniel McGilton, Nathaniel McGilton".
Traum von einer echten Box-Karriere
Die beiden sind Anfang 20, leben noch bei ihren Eltern. Den High-School-Abschluss schafften sie nur mit ach und krach. Seitdem schlagen sie sich mit Gelegenheitsjobs durch, derzeit als Tellerwäscher. Vater Frank fehlte den Jungs in ihrer Kindheit und Jugend. Er saß 16 Jahre lang im Gefängnis, wegen Raubüberfällen. Auch Sohn Daniel ist kürzlich mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er hat Geld gestohlen, das er schnell zurückzahlen muss, wenn er einer Haftstrafe entgehen will. 500 Dollar winken für einen Sieg im Bruder-Duell. Und darüber hinaus will er eine echte Box-Karriere starten.
"Davon träume ich und ich sage mir jeden Tag, dass es passieren wird, wenn ich weiter daran arbeite. Ich tue das für mein kleines Mädchen. Ja, ich sehe mich Profi werden", so Daniel McGilton.
Vorher zeigt ihm sein Zwillingsbruder schon mal, wie ein standesgemäßer Boxer-Haarschnitt aussieht. Liebevoll, gar sanft geht er zu Werke. Doch der Schein trügt. "Ich werde versuchen ihn mit meinem Haken k.o zu schlagen. In der zweiten Runde", sagt Nathaniel McGilton.
Siegprämien im Akkord
Der große Tag ist gekommen. 2000 Menschen wollen die blutigen Box-Anfänger vor Ort miterleben. Hier in der Region gibt es keine professionellen Sportereignisse. Die Schecks mit den Siegprämien werden im Akkord ausgestellt. Gerald ist bereit, sich das Geld und den Respekt der Menge zu holen. "Der Kohle-Kumpel hat viel Wut in seiner Faust", sagt der Kommentator. Geralds Gegner ist chancenlos. Mit Spannung erwartet: Das Bruder-Duell.
Nathaniel hat mit seinem Zwilling Daniel keine Gnade. Der KO-Schlag schon in der ersten Runde. Und Daniel hat es böse erwischt. Er leidet unter starken Sehstörungen. "Das passiert. Ich bin nur froh, dass er ok ist", sagt Nathaniel McGilton.
Mit den 500 Dollar werde er feiern gehen und seinen Bruder mitnehmen, meint Nathaniel. Doch er hat den Ernst der Lage noch nicht begriffen. Daniel muss ins Krankenhaus gebracht werden.
The Show must go on
Später wird sich herausstellen, dass er eine schwere Gehirnerschütterung erlitten hat. Nach einem früheren Turnier ist sogar ein Boxer gestorben. Doch Veranstalter Christopher MacCorkle Smith meint, das Risiko gehöre einfach dazu. Außerdem seien immer Fachärzte vor Ort. "Wir sind bestmöglich vorbereitet. Es ist ein gefährlicher Sport, Menschen sterben beim Boxen, aber auch bei anderem Kampfsport, beim Football, beim Joggen oder vielen anderen Sportarten. Boxen ist nichts für jeden", sagt der Boxveranstalter Chris MacCorkle Smith.
The Show must go on. Nathaniel geht in seinen zweiten Kampf. Er hat keine Chance. Bereits in der ersten Runde gibt er auf. "Es ist schon ok. Es wird ein nächstes Mal geben."
Auch Gerald hält sich nur noch kurz im Turnier. Doch er empfindet den Ausflug in die Boxwelt nicht als Niederlage. Sein Leben geht weiter. "Ich werde weiter in den Kohleminen arbeiten und damit meine Zukunft und die meiner Kinder verbessern. Das ist jetzt mein Ziel."
Und seine Freunde mögen Gerald den Kohlekumpel genauso gerne wie Gerald den Boxer. In West Virginia hält man zusammen – im Sieg wie in der Niederlage.
Autor: Jan Philipp Burgard / ARD Studio Washington
Stand: 01.08.2019 06:32 Uhr
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