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Afghanistan: Schule unter den Taliban

Afghanistan: Junge Mädchen dürfen fast überall nicht mehr in die Schule – düstere Aussichten für ihre Zukunft
Afghanistan: Junge Mädchen dürfen fast überall nicht mehr in die Schule – düstere Aussichten für ihre Zukunft | Bild: WDR

Ihre Schuluniform hat die 17-jährige Mina seit August nicht mehr getragen – die Taliban verbieten ihr den Unterricht zu besuchen. Das Mädchen aus Kabul will nicht erkannt werden – auch ihren Namen haben wir geändert. Zu groß ist die Angst vor den radikalen Islamisten. Was sie aber will ist, dass die Welt weiß, wie es Mädchen wie ihr gerade geht in Afghanistan. "Ich fühle mich meiner Rechte beraubt. Die Taliban handeln nicht nach dem Islam. Es ist einfach unfair, dass Jungs zur Schule dürfen und Mädchen ab der der 7. Klasse nicht mehr. Es hat für uns Mädchen viele negative Konsequenzen", erzählt sie.

In weiten Teilen des Landes dürfen Mädchen nach der 6. Klasse zurzeit nicht mehr in die Schule gehen. Am eigenen Computer versucht Mina den Stoff nachzuarbeiten, das funktioniere aber nur sehr begrenzt, sagt sie. Zumal sie große Schwierigkeiten habe, sich in der jetzigen Zeit wirklich zu motivieren: "Unsere Zukunft ist unsicherer denn je. Wir hatten doch alle Träume. Meine Freundinnen und ich wollten Lehrerinnen oder Ärztinnen werden. Jetzt aber sind die Taliban da. Und damit sind alle Hoffnungen zerstört worden."

Ein gelähmtes Bildungssystem

Nicht nur junge Mädchen sind von den Einschnitten im Bildungssystem betroffen. Die allermeisten staatlichen Universitäten sind zurzeit geschlossen. So auch hier in Mazar-i-Scharif. In der Universität selbst dürfen wir nicht filmen. Doch ein Student erzählt uns, dass seit Monaten keine Veranstaltungen mehr stattfinden: "Die Linie, die die Taliban gerade in Schulen und Universitäten verfolgen, passt nicht mehr zu unserer Gesellschaft. Wir haben erfahren, wie es ist, in Freiheit und Demokratie zu leben. Unsere Generation wird sich nicht widerstandslos fügen. Wir sollten uns gegen die Taliban zusammentun."

Afghanistan: In der Balkh Provinz dürfen auch Frauen sämtliche Bildungseinrichtungen besuchen, sagt der Bildungsbeauftrage der Balkh Provinz, Zabiullah Noorani
Afghanistan: In der Balkh Provinz dürfen auch Frauen sämtliche Bildungseinrichtungen besuchen, sagt der Bildungsbeauftrage der Balkh Provinz, Zabiullah Noorani | Bild: WDR

Die Taliban selbst hingegen betonen, dass es in der Balkh-Provinz, zu der auch Mazar-i-Scharif gehört, gar keine Probleme gäbe. Zabiullah Noorani ist der lokale Bildungsbeauftragte. Laut ihm könnten sowohl Männer als auch Frauen sämtliche Bildungseinrichtungen ohne Einschränkungen besuchen. "Hier sind alle Schulen offen. Sowohl Schüler als auch Lehrer können problemlos den Unterricht besuchen. Egal ob Männer oder Frauen. Wir ermutigen sogar alle dies zu tun. Wir garantieren für ihre Sicherheit, es wird keinerlei Probleme geben, wir beschützen alle", erzählt Zabiullah Noorani.

Richtig ist: die Balkh Provinz ist einer der wenigen Orte im Land, wo zumindest die meisten jungen Menschen noch Zugang zu Bildung haben. Die privaten Universitäten sind bislang offen. Drehen dürfen wir hier aber nur unter Beobachtung der Taliban. Der Unterricht findet seit ihrer Machtübernahme getrennt statt. Mädchen dürfen nur vormittags an die Uni kommen – aber: sie sorgen sich um ihre berufliche Zukunft. "Es ist sehr schwierig momentan eine Frau zu sein. Nach der Universität werden wir hoffentlich anfangen zu arbeiten. Aber die Taliban haben die gesellschaftlichen Regeln geändert. Als Geschäftsfrau oder in einem Büro zu arbeiten – das ist zurzeit alles sehr sehr streng geregelt. Viel strenger als in der Vergangenheit", sagt Sajiya, eine Studentin an der Universität.

Die Zukunftshoffnungen schwinden

Immerhin erlauben die Taliban hier in Mazar-i-Scharif, dass Mädchen auch nach der 7. Klasse noch die Schule besuchen dürfen. Tamana ist dankbar, dass das zumindest bisher noch möglich ist. Sie mag sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn ihr diese Möglichkeit genommen würde: "Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Man sagt ja auch: ein Mensch kann etwa vier Minuten ohne Sauerstoff überleben. Aber ohne Hoffnung kann er keine vier Sekunden lang überleben. Nicht zur Schule gehen zu können, das würde unsere gesamte Generation zerstören.”

Afghanistan: Mina hofft auf eine bessere Zukunft für junge Mädchen in Afghanistan
Afghanistan: Mina hofft auf eine bessere Zukunft für junge Mädchen in Afghanistan | Bild: WDR

Die Schulleiterin des Gawhar Khatoon Gymnasiums versucht, den Mädchen Hoffnung zu machen. Im Interview erzählt sie aber dann, wie sehr sie die momentane Situation belastet. "Zurzeit glaube ich nicht an die Zukunft der Bildung für Frauen. Ich weiß nicht, ob und wann die Taliban auch diese Schule schließen. Vielleicht morgen, vielleicht in einer Stunde, vielleicht schon in zehn Minuten", erzählt die Schulleiterin.

Ein Szenario, das für Mina seit Wochen die neue Realität ist. Voller positiver Erinnerungen denkt sie zurück an die Vergangenheit. An die Zeit, in der ihr Leben noch ein ganz anderes war: "Bevor die Taliban die Macht übernommen haben, konnten wir in Parks und Schulen gehen. Wir konnten uns frei bewegen. Wir akzeptierten ja schon damals die islamischen Regeln. Aber nun hat sich alles geändert. Ich kann kaum mehr aus dem Haus.”

Sie hofft, dass die Taliban bald ein Einsehen haben und in Zukunft wieder allen Mädchen in ganz Afghanistan Zugang zu Bildung ermöglichen werden. Wirklich daran glauben, so sagt sie, tut sie aber nicht.

Autor: Oliver Mayer / ARD Studio Neu-Delhi

Stand: 31.10.2021 20:40 Uhr

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