So., 31.10.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Freiheit im 'Airstream'
Er ist Schlaf-Koje, Kunstwerk, Reisegefährte, Ziegenstall – und ihr ständiges Zuhause: Chad Battles lebt mit Frau Cate und Ziege Frankie seit fünf Jahren im Airstream! Küche, Wohnzimmer, Atelier – all das hat bei gutem Wetter draußen Platz, seit die beiden ihr Haus verkauft haben und moderne Nomaden sind!
Ihr Airstream Argosy aus dem Jahr 1976 – für Künstlerin Cate eine einzige Leinwand – sie malt ihr Reisetagebuch darauf: Yosemite National Park – noch ist Raum für immer neue Erlebnisse. "Ja, ich hab noch Platz. Und irgendwann fange ich dann wieder ganz von vorne an!", sagt sie.
Drinnen leben die drei auf wenigen Quadratmetern – haben ihr Leben drastisch entrümpelt. Nur was wirklich wichtig ist, bleibt! Die Fassdusche im mobilen Mini-Bad wird gerade von der Wäsche blockiert. Dafür hat ihr gelebtes Roadmovie andere Vorteile. "Alles, was du brauchst, ist nur eine Armlänge entfernt. In nur fünf Minuten kannst du alles saubermachen. Das ist so einfach!", erzählt Chad und Cate fügt hinzu: "Wenn du aus dem Fenster schaust, kannst du morgens den Sonnenaufgang über der Wüste sehen und abends den Sonnenuntergang über dem Ozean. Das ist eine einmalige Erfahrung."
Der Airstream ist eine Lebenseinstellung
Mehrere Monate im Jahr reisen die beiden, bevor sie wieder ihr Dauercamp auf einer Wiese in Oregon aufschlagen. Kate arbeitet als Reise-Bloggerin, Chad auf einem Weingut. Und Frankie ist vermutlich die weitgereistete Ziege der USA! Für ihr Wanderleben musste es ein alter Airstream sein – wegen des Designs – und der Philosophie von Erfinder Wally Byam. "Sein Geist lebt weiter in all denen, die Airstreams lieben: Die Lust auf Abenteuer, darauf, neue Orte und Leute kennenzulernen!", sagt Cate.
Glamping, also Edel-Camping als Lebensentwurf – diese drei zelebrieren das in den buntesten Farben! Dabei dominiert beim klassischen Airstream vor allem eins: Silber! Markenzeichen der amerikanischen Camping-Ikone ist die Alu-Hülle. Heather und Davis Cook sind Mitglieder:innen im Internationalen Airstream Club. Der Alu-Anhänger gilt als besonders leicht. Trotzdem: Rückwärts Einparken stellt sogar bewährte Ehen auf die Probe!
Ihr aktueller Airstream ist ein Modell von 2013 – Kostenpunkt neu in den USA etwa 80.000 Dollar! Solider Glanz, den sich viele erst spät im Leben leisten können: Die Cooks mussten 37 Jahre warten, um ihren Traum ins Rollen zu bringen! "1970 haben wir angefangen, zu sparen – und 2007 haben wir dann unseren ersten Airstream gekauft. Vorher haben wir erstmal ein Kind bekommen und es durch die Uni gebracht. Aber der Traum vom Airstream war immer da", erzählt Heather. Inzwischen haben sie zweimal die USA durchquert und sind im Club-Konvoi bis Alaska gefahren. Ihre Begeisterung zeigt sich sogar an Hund Agnes. "Das ist die Freiheit, der zu sein, der du sein willst! Wir fühlen uns wie späte Teenager!", sagt Heather.
Silber verbindet: Der Airstream-Club sei ihre Familie, sagen sie – und da wird auch mal gemeinsam gekocht: Muschelsuppe für 40 Personen! Brad Taylor hat sich ganz den alten Alu-Schätzchen verschrieben. Zuerst hat er sie gesammelt, dann seinen Grafiker-Job aufgegeben und eine Restaurations-Werkstatt eröffnet. Ihn fasziniert vor allem die 90-jährige Geschichte: "Airstreams sind silbrig und glänzend. Das erregt Aufmerksamkeit. Aber diese ganze Struktur, die Nieten, das erinnert Amerikaner:innen an die Zeit, als wir noch solide Sachen gebaut haben. Wir bauen immer noch Sachen, aber die haben nicht mehr die Seele der alten Dinge."
Aus Alt wird Neu
1931 gründet Wally Byam eine Firma für seinen selbstentworfenen Airstream. Die Anhänger in Alu-Leichtbauweise verbreiten sich in den USA. Prägend für den Mythos bis heute: Byam führt in den 40ern und 50ern sogenannte Caravans an – Entdeckertouren im Silber-Konvoi – z.B. von Kapstadt nach Kairo: Er macht seinen Landsleuten Mut, sich raus in die Welt zu wagen – mit dem Komfort eines rollenden amerikanischen Wohnzimmers. 60 Prozent aller jemals gebauten Airstreams sind noch auf der Straße – für manche braucht es Schatzsucher und Schrauber wie Brad!
"Der hier ist als Hühnerstall genutzt worden, da ist noch Hühnerdraht an den Fenster." Das sieht nach Arbeit aus. Drei bis vier Monate wird er hier reinstecken müssen, glaubt Taylor. Kann er den wieder zum Glänzen bringen? "Der wird wie neu aussehen!", glaubt er.
Zum Beweis gibt es einmal stellenweise Blankputzen: Vier Poliergänge wird es brauchen, bevor sich in diesem noch stumpfen Vertreter wieder die Prärie spiegeln kann. Sie haben all das alleine geschafft: Rebecca und Harold Seeley gaben Airabella ein neues Leben – so nennen sie ihren Anhänger von 1958. Kurz vor der Rente gab Zeltcamperin Rebecca ihrem Mann einen Auftrag. "Mein erster Gedanke war, ich werde nicht mehr auf dem Boden schlafen, lass uns so eine kleine Knutschkugel kaufen, gerade groß genug für ein Bett. Und das hier hat er nach Hause gebracht!", erzählt sie.
Rund 5.000 Dollar hat Harold für den runtergekommenen Anhänger bezahlt und drei Jahre lang an ihm gearbeitet – jeden Tag! Tausende Nieten, die er eigenhändig eingehauen hat, haben sich gelohnt. "Da ist dieses Feriengefühl, loszufahren und alles hinter sich zu lassen, auch wenn das gar nicht stimmt. Es treibt uns dazu, rauszukommen, statt zuhause zu sitzen", sagt er.
Es ist der amerikanische Traum vom Leben auf Achse – schon damals vor 90 Jahren und auch heute noch: Mit Silber in den Sonnenuntergang!
Autorin: Verena Bünten/ARD Studio Washington
Stand: 31.10.2021 20:42 Uhr
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