Mo., 29.08.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Senegal: Aufstieg durch Ringen
Sie sind verrückt danach. Und jeder macht es – überall!
Die Strände von Dakar, der Hauptstadt Senegals, sind eigentlich offene Fitness-Zentren. Die Königsdisziplin ist der Ringkampf. Calanda und sein Freund kommen jeden Tag zum Trainieren hierher.
Den Anderen aus dem Gleichgewicht bringen. Dann: Schulter oder Kopf des Gegners auf den Boden drücken. Gewonnen!
Der Ringkampf ist im Senegal so populär, dass sich eine ganze Tageszeitung ausschließlich damit beschäftigt. Seit Tagen gibt es nur ein Thema: der große Kampf zwischen zwei Superstars. Einer von ihnen, Sa Thies, ist Calandas großes Vorbild. "Ich kenne Sa Thies seit ich klein bin", erzählt Calanda. "Er hat auch hier an diesem Strand trainiert. Wir kommen aus dem gleichen Viertel. Er war arm, so wie ich und hat sich ganz nach oben gearbeitet. Jetzt wohnt er in einem großen blauen Haus."
Der Zauber des Marabou soll den Gegner schwächen
An diesem Abend ist es soweit: der Kampf der Kämpfe. Die ganze Stadt ist im Fieber.
Und das "große blaue" Haus des Stars ist zur Pilgerstätte geworden. Stundenlanges Warten – vor der schwer bewachten Tür – um vielleicht einen kleinen Blick von ihm zu erhaschen.
Andere eifern ihm schon mal nach.
Calanda will die Zeit vor dem großen Kampf lieber sinnvoll nutzen, sagt er. Und seinem Idol einen echten Dienst erweisen. Er besucht einen Marabou – einen mystischen Geisterbeschwörer. Der soll Sa Thies stärken und den Gegner schwächen.
"Dieser Stoff, das ist der Gegner von Sa Thies. Ich mache Knoten hinein, damit der Gegner unbeweglich wird", sagt der Marabou. Damit weiht er dann das Wasser, mit dem sich Sa Thies später waschen wird.
Über 90 Prozent der Senegalesen sind Muslime. Aber der traditionell-mystische Glaube bleibt tief verwurzelt.
"Beide Ringer sind gut trainiert. Jetzt, kurz vor dem Kampf geht es um andere Dinge. Deshalb kommen wir zu einem Marabou. Damit der den Gegner verhext. Und ehe der weiß, was passiert – hast Du ihn schon besiegt", sagt Calanda.
Flucht oder Ringen als Wege aus der Armut
Tausende Ringer gibt es im Senegal. Alle träumen denselben Traum. So wie Calanda kommen die meisten aus einem der Armenviertel in Dakar. Viele Chancen hier jemals rauszukommen, gibt es nicht.
Calanda musste mit zwölf die Schule abbrechen. Dabei hätte ihm der Unterricht so viel Spaß gemacht, erzählt er. Aber er muss dabei helfen, die Familie zu ernähren. Mit Gelegenheitsjobs. Seine Schwester ist vor zwei Jahren geflohen. Inzwischen lebt sie in einem Flüchtlingsheim in München. Sie ist Friseurin, erzählt die Mutter, hat hier aber einfach keine Arbeit gefunden. Jetzt macht sie den Flüchtlingen in München die Haare und schickt hin und wieder etwas Geld nach Hause.
Fliehen oder Ringen – das seien hier nun mal die einzigen Optionen, sagen sie. "Das Problem ist die Arbeitslosigkeit. Deshalb trainieren die Jugendlichen hier wie verrückt. Und beim Ringen kannst du innerhalb von kurzer Zeit Millionär werden", sagt Samba Ba, Calandas Vater.
Die Zuschauer warten stundenlang auf den großen Kampf
Vor allem die großen Duelle sind Publikumsmagneten. Etwa 15.000 Zuschauer passen in das Stadion Demba Diop. Calanda hat schon vor Wochen eine Karte ergattert. Der Fight: schon lange ausverkauft.
Noch dauert es fünf Stunden bis zum eigentlichen Kampf. Doch die Spiele sind eröffnet. Als erster betritt Sa Thies das Feld. Mit einer heiligen Schutzmaske. Der Gegner setzt auf ein beschworenes Band, das er kaut. Und auf mystischen Tanz.
Die Zuschauer – wie elektrisiert
"Der kann tanzen und toben wie er will. Sa Thies ist viel stärker. Er wird ihn besiegen", ist sich Calanda sicher.
Jeder Ringer hat vor dem Kampf seine zeremonielle Eigenart. Mit Hilfe von Amuletten oder geweihtem Rauch sollen ihre Kräfte gestärkt werden.
Das wichtigste für Sa Tiehs: die "Zauberflüssigkeiten", die der Marabou zuvor für ihn gebraut hat. Und die über ihn ausgeleert werden. Eine Flasche nach der anderen. Er wird mit allen Wassern gewaschen. Was drin ist, in der Brühe, bleibt das Geheimnis des Schamanen. Doch es fängt an zu stinken. Bestialisch zu stinken.
Wer beim Ringen Erfolg hat, kann Millionär werden
Es ist eine Mischung aus tiefer Gläubigkeit und großer Show. Und irgendwie auch ein bisschen wie Karneval – sogar mit Kamelle.
Hinter dem Spektakel steht viel, wirklich sehr viel Geld. Finanzstarke Sponsoren machen die erfolgreichen Ringer zu landesweiten Medienstars und zu Dollar-Millionären.
Vier Stunden haben sie entertaint – jetzt endlich geht’s zum Kampf. Die Gladiatoren stehen sich Auge in Auge gegenüber.
Und 3, 2, 1 – vorbei! Sa Thies gewinnt nach Sekunden! Und verdient innerhalb dieser Sekunden etwa 150.000 Euro.
Sekunden, in denen er die Träume von tausenden Männern wie Calanda erfüllt.
Aber wohl auch für einen Kerl wie Sa Thies, sehr viel Druck, der jetzt von ihm fällt.
Nach dem Kampf sei ihre Motivation noch zehn Mal größer. Wenn Du es wirklich ernst meinst, ist Calanda überzeugt, kannst Du auch alles erreichen. "Ich will nicht den Weg gehen, den meine Schwester gegangen ist. Ich will hier bleiben und alles versuchen, um meinen Geschwistern das zu ersparen, was ich durchmachen musste. Sie sollen weiter zur Schule gehen. Und nicht wie ich schon mit zwölf arbeiten müssen. Dafür mache ich das alles", sagt Calanda.
Alles geben und hart trainieren – für ein bessres Leben. Und zum Glück macht es auch noch Spaß.
Ein Film von Shafagh Laghai
Stand: 12.07.2019 15:23 Uhr
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