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Brasilien: Chronik einer angekündigten Krise

Brasilien: Chronik einer angekündigten Krise | Bild: SWR

Energisch und voller Kampfeswillen, so mobilisiert die suspendierte Präsidentin noch einmal ihre Anhänger.

Sao Paulo vor ein paar Tagen. Dilma Rousseff kämpft um ihr politisches Überleben. Erklärt immer wieder, sie sei unschuldig. Was ihr widerfahre, sei nichts anderes als ein Putsch der rechten Eliten. Die hätten ihr selbst die olympischen Spiele genommen.

"Da hat man eine Party. Du organisierst sie. Räumst das Haus auf. Man renoviert und verbessert alles. Dann steigt die Party und Dir wird verboten daran teilzunehmen. So ist meine Gefühlslage", beschreibt es Dilma Rousseff.

Ihre Anhänger stehen hinter Rousseff

Der Kampf ist wohl verloren, das spürt auch die Basis. Auch wenn die juristischen Argumente für eine Amtsenthebung schwach sind. Nach dreizehn Jahren Regierungszeit der Arbeiterpartei fürchten nun viele um die sozialen Errungenschaften dieser Ära.

"Präsidentin Dilma und davor Präsident Lula haben für unser Land viel erreicht. Sie haben immer für die ärmeren und Benachteiligten regiert. Das hat vielen Leuten aus der Ober- und Mittelschicht nie gepasst", sagt ein Rousseff-Anhänger.

"Fora Temer" Rufe beim Marathon, am letzten Olympiatag, vor einer Woche. "Weg mit dem Interimspräsidenten", den sie nicht wollen.

Kleine Gruppe Rousseff Anhänger halten Plakate hoch
Sie sind nur eine Handvoll. | Bild: SWR

Ein paar Rousseff Unterstützer demonstrieren für ihre suspendierte Präsidentin. Jetzt bei Olympia können sie vielleicht noch etwas bewegen, hofft auch Ärztin Kátia Silveira und sagt: "Es ist eine gute Bühne, um die Bevölkerung, die Touristen, die internationalen Medien auf unsere Situation aufmerksam zu machen. Wir wollen die Demokratie zurückholen. Der Kampf gegen den Putsch braucht internationale Unterstützung."

Furcht vor einem noch schlechteren Gesundheitswesen

Eine öffentliche Klinik der Universität von Rio. Dort will mir Ärztin Katia Silveira da Silva mehr von den Auswirkungen der Krise zeigen. Seit über 28 Jahren arbeitet sie hier und ist spezialisiert auf dem Fachgebiet von seltenen Krankheiten bei Neugeborenen. Das brasilianische Gesundheitssystem leidet seit Jahren, es fehlt an Geld und Ausrüstung, sagt sie. Und bei einem politischen Wechsel fürchtet Katiá noch mehr Einschnitte.

"Der Wahlkampf des Gesundheitsministers von Interimspräsident Temer wurde von privaten Krankenkassen finanziert. Er hat schon verkündet, wenn die Regierung Temer bestätigt wird, werden seine Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise sein, die Investitionen im öffentlichen Gesundheitswesen zu reduzieren", sagt sie.

Davor hat Kátia richtig Angst.

Die brasilianische Gesellschaft ist tief gespalten

Brasilien ist polarisiert und gespalten. Eine permanente Begleiterscheinung auch bei den Spielen. Proteste für und gegen Dilma Rousseff. Jeden Tag. "Es gibt keinen Putsch", sagt diese Frau. Aber die Politintrigen haben der Gesellschaft geschadet. Eine tiefe Vertrauenskrise in die brasilianische Politik.

"Uns respektiert doch niemand mehr in der ganzen Welt, weil wir nur noch das Image eines korrupten Landes haben", sagt eine Frau. Deshalb unterstützt sie Temer, den Interimspräsidenten. Der hat nun die Fackel der paralympischen Spiele entgegengenommen, und sieht sich längst als rechtmäßiger Nachfolger Rousseffs. Besonders beliebt ist er auch nicht.

Rousseffs Gegner wollen Veränderung

Trotzdem vor allem Mittel- und Oberschicht wollen ihn im Amt halten. Und unterstützen das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff. So wie Anwältin Marcia Prata Blanke. "So wie die Lage hier ist, kann es nicht weitergehen. Alles ist festgefahren. Die Armut wird größer, die Ausbildung ist schlecht. Es sind viele Probleme zu lösen. Jede Veränderung kann da nur willkommen sein", sagt sie.

Rousseffs wirtschaftliche und politische Inkompetenz seien für die schwerste Wirtschaftskrise des Landes verantwortlich. Und dann seien da ja noch die Korruptionsskandale um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras. Zwar gilt Rousseff selbst als integer, aber sie hätte Alarm schlagen müssen, meint Marcia.

Die offiziellen Vorwürfe, die nun der Senat in der Hauptstadt diskutiert und worüber abgestimmt wird, nämlich Haushaltsmanipulationen, sind selbst bei Juristen sehr umstritten. Es geht letztlich nur um die politische Macht. Und die liegt nun offensichtlich bei den alten Wirtschaftseliten. Für sie ist die Absetzung der gewählten Präsidentin beschlossene Sache.

Es geht um mehr als Haushaltsmanipulationen

"Für mich geht es da nicht nur um das Verwaltungsproblem, die Verschönerung von Haushaltszahlen. Es steckt mehr dahinter. Es ist einfach nicht zu glauben, dass jemand mit dem politischen Know How wie Rousseff nicht wusste, was in Sachen Korruption beim Staatskonzern Petrobras und ihrer Partei alles passierte", meint Marcia Prata Blanke.

Dilma Rousseff gibt nicht auf – aber es scheint ein verlorener Kampf.

Dilma Rousseff bei Veranstaltung in Sao Paulo
Dilma Rousseff spricht vor Anhängern in Sao Paulo. | Bild: SWR

"Ich gehe Montag selbst zum Senat und verteidige mich, weil ich keine Verbrechen begangen habe und daran glaube, dass wir dieses üble Amtsenthebungsverfahren verhindern müssen. Es würde schlimmste Folgen für die brasilianische Gesellschaft haben", sagt Dilma Rousseff.

Folgen, die in der Tat jetzt schon zu beobachten sind. Brasilien gespalten wie nie. Wirklich helfen könnten wohl nur Neuwahlen. Doch die wird es nicht geben.

Ein Film von Michael Stocks

Stand: 12.07.2019 15:23 Uhr

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